Zur chinesischen Bauernmalerei

Die Wurzeln der Bauernmalerei in China sind so vielfältig wie ihre Farben und Motive. Da waren einmal jene, welche mit der bildenden Kunst ganz oder teilweise das Geld für ihren Lebensunterhalt verdienten. Gab es denn außerhalb der Anwesen der Gutsbesitzer auch in den Höfen und Hütten der Bauern dafür Bedarf? Bei Beantwortung dieser Frage darf man nicht vergessen, dass Malerei nicht nur darin bestand, für die Festhallen der Gutshöfe große glückbringende Rollbilder – etwa mit den Göttern des Glücks, Reichtums und langen Lebens – anzufertigen. Sie erschöpfte sich auch nicht in der Herstellung von Ahnenportraits, sondern fand ihren Weg auch in die Bauernhäuser, welche mit ihren Wänden und Toren Teile einer großen Galerie bildeten. Diese Galerie wurde von Professionellen wie auch von Freizeitkünstlern seit jeher genutzt.

Berufsmaler und Holzschneider entwarfen in den bäuerlichen Studios von Shandong, Hebei, Jiangsu, Henan oder Sichuan Neujahrsbilder, welche zum Frühlingsfest (Mondneujahr) millionenfach im ganzen Land verkauft wurden, um auf den Haustüren, der Geistermauer, in den Wohnräumen, aber auch in den Ställen und sogar auf der Latrine den bösen Geistern zu wehren und das Glück herein zu bitten. Dörfliche Malerfamilien schmückten die lokalen Tempel aus oder dekorierten die Wände hinter den Kangs, den beheizbaren Ziegelbetten, welche im nördlicheren China den Familien nicht nur als Schlafstätte, sondern auch als Arbeitsplatz und am Feierabend als Treffpunkt zum Plaudern und Märchenerzählen dienen. Großvater und Großmutter hatten die Illustrationen für ihre Geschichten gleich neben sich an der Wand. Dort tummelten sich nicht nur glückbringende Drachen, Löwen, Goldfische, Fledermäuse oder Schmetterlinge, sondern auch viele Heldenfiguren der chinesischen Vergangenheit und Mythologie.

Im Gegensatz zu den Neujahrsbildern aus dünnstem Papier, welche das Jahr über verwitterten und zum nächsten Frühlingsfest durch neue ersetzt wurden, waren die „Bettbilder“ beständig. Es stand also für die sparsamen Bauern dafür, für die Ausschmückung ihres Hauptaufenthaltsortes einen Fachmann heranzuziehen. Das vollendete Bild wurde mit farblosem Lack fixiert. War es verstaubt, so genügte ein nasses Tuch, um es wieder in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Neben dem Kang nahm in den chinesischen Bauernhäusern die Feuerstelle den wichtigsten Platz ein. Auch dort wurden Wände bemalt, gelegentlich versah man den gemauerten Herd selbst mit Glückssymbolen. Draußen kündeten und künden auch noch heute bemalte Giebel und Dachfirste von der Kunstfertigkeit und Tradition ländlicher professioneller Malerei.

Berufsmaler eigenen Schlages sind die Mitglieder hauptberuflicher ländlicher Schattenspielgruppen. Wer einmal die Farbenpracht gesehen hat, welche die Lederfiguren im Schein einer Glühbirne oder vielleicht gar noch einer Öllampe auf die Leinwand zaubern, wird mit dem kargen Ausdruck „Schattenspiel“ nicht mehr einverstanden sein. Heute sind es nicht mehr viele, welche mit einer Familiengruppe von fünf, sechs Personen den größten Teil des Jahres in den Dörfern unterwegs sind. Die elektrischen Schatten von Film und Fernsehen haben ihre chinesischen Verwandten weitgehend verdrängt. Aber auch heute noch muss ein richtiger Schattenspieler seine Figuren selbst herstellen können. Er entwirft, schneidet und bemalt. Mit einem Bühnenkoffer von mehreren tausend Figuren – brückend schöne Zeugen bäuerlicher Gestaltungskraft – könnte ein ländliches Schattentheater fast ein Jahr lang abendlich durchspielen, ohne sich zu wiederholen.

Doch nicht alle dörflichen Meister eines begnadeten Pinsels leben von ihrer Kunst. Will man aufzählen, was bäuerliche Freizeitkünstler aus ihrer Tradition zu schöpfen vermögen, nimmt die Liste schier kein Ende. Neujahrsbilder für den eigenen Gebrauch gehören dazu, ländliche Tapeten, Scheren- und Skalpellschnitte, bemalte Reisschaufeln, Truhen, Betten und anderer Hausrat, Ton-, Teig-, Stoff- und Papierfiguren als Glücks- und Abwehrzauber, ländliche Keramik, bemaltes Backwerk, Stoffdrucke und Stickereien. Dieser Reichtum an Volkskunst ist in China allen früheren Kritikbewegungen zum Trotz noch immer in großem Ausmaß vorhanden. In der Gegend der ehemaligen kaiserlichen Sommerresidenz Chengde („Jehol“) war der Verfasser erst vor kurzem [Anm: 1991] in Dörfern, wo die Einwohner ohne Ausnahme, das heißt sogar inklusive des Dorfpolizisten, die alte Kunst des Scherenschnitts beherrschen und ausüben.

Die chinesische Bauernmalerei als eigene Kunstgattung ist wie eine neue Insel, durch die vulkanische Glut der chinesischen Revolution emporgehoben, plötzlich über den Wogen der politischen Wirren aufgetaucht. Das Muttergestein der chinesischen Volkskunst konnte sie aber nie verleugnen. Die Bauern hatten dies wohl auch gar nicht im Sinne. Sie waren dankbar, als ihren künstlerischen Anstrengungen nach 1949 unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Im Zuge der neuen Gewichtungen und Bewertungen, welche der Sieg der chinesischen Kommunisten im Bürgerkrieg gegen Tschiangkaischek mit sich gebracht hatte, wurde bäuerliches Kunstschaffen sogar zum Objekt von Gelehrteninteresse. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts hatten die chinesischen Gelehrten den russischen Sinologen Alexejew ausgelacht, als er sich bemühte, der Symbolik und den Rätseln der Neujahrsholzschnitte auf die Spur zu kommen. Zuerst meinte dieser Bahnbrecher in der Erforschung chinesischer Volkskunst, die Verachtung gegenüber der Kunst der einfachen Leute sei das alleinige Hindernis, welches die Gelehrten von seinen Untersuchungen über die bunten bäuerlichen Bilder fernhalte. Später fand er heraus, dass sie über diese Kunst, auf die man im ländlichen China auf Schritt und Tritt stoßen musste, nicht nur nichts wissen wollten, sondern auch tatsächlich nichts wussten. Des Lesens und Schreibens  unkundige Frauen waren für Alexejew nützlicher als die eingebildeten Gebildeten.

Im neuen China wollte man neue Akzente setzen. Professoren wurden zu den Volkskünstlern geschickt, um ihr Schaffen zu erforschen und Volkskünstler wurden zu Professoren, um an staatlichen Bildungsstätten ihr Wissen weiterzugeben. Im Sinne dieser neuen Bewertung und Beachtung wurden die Bauern ermutigt, zum Pinsel zu greifen, um unter dem Vorzeichen neu gewonnener Achtung und Selbstachtung ihr eigenes Leben darzustellen. Als „neue Blume“, wie sie von den chinesischen Kunstkritikern bezeichnet wurde, begann die Bauernmalerei auf dem Nährboden der vielfältigen Formen bäuerlicher Volkskunst zu sprießen, doch als im Spätsommer 1957 Mao Zedong die von ihm selbst ins Leben gerufenen Liberalisierungsbewegung des Blühens von 100 Blumen mit der Antirechtsabweichlerkampagne jäh beendete, war dies auch Frost auf die Blätter der neuen Blume Bauernmalerei. Die Ideologen bemächtigten sich ihrer, pressten ihre Lebenssäfte heraus und klebten das verbliebene dürre Zerrbild in die Pappleporellos politisch erwünschter Verhaltensmuster. Aus Bauernkunst wurde politische Schablonenmalerei. Man nahm der Bauernmalerei ihre eigenen ursprünglichen Ausdrucksmittel. Kulturbürokraten kontrollierten das Training der Bauern in Sachen sowjetischer sozialistischer Realismus, damit sie sich dann endlich auf einem „richtigen wissenschaftlichem Weg“ bewegen könnten.

1958 wurde dem chinesischen Volk das wirtschaftliche Kuckucksei des Großen Sprungs und der Bewegung der Volkskommunen untergeschoben. Eines der damals hochgejubelten Bauernbilder, welche 1958 auf einer Pekinger Kunstausstellung politisch abgesegnet worden waren, kam aus Pixian in der Provinz Jiangsu: „Der Affenkönig kommt zum flammenden Berg und Mais so hoch wie der Himmel“. Der flammende Berg des Affenkönigs war auf diesem Bild zu den später berüchtigten Hochöfen im Hinterhof degeneriert und der aufgetürmte Mais sollte China vor Luftangriffen Amerikas und Tschiangkaischeks schützen. Neben Pixian machten sich durch solche politische Malereien Sulu in Hebei und Huxian in Shaanxi einen Namen.

Besonders Huxian beharrte auch später auf den politischen Akzenten, was sich nicht nur auf den Blättern einzelner Bauernmaler, sondern vor allem auf Wandbildern an den Häusern niederschlug, womit hässliche politische Parolen eine gelegentlich sogar ansprechende Heimstatt fanden. Nicht zufällig wurde daher die Bauernmalerei von Huxian während der Kulturrevolution das Modell für das ganze Land. Anlässlich des Nationalfeiertags veranstaltete man in Peking am 1. Oktober 1973 eine Ausstellung von Bildern aus Huxian und ein Jahr darauf erschien im Volksverlag von Shaanxi das Buch „Ausgewählte Bilder der Bauernmalerei von Shaanxi“. Im Vorwort bedankt sich der Herausgeber beim Vorsitzenden Mao und beim Zentralkomitee dafür, dass die Arbeiter-Bauern und Soldatenkünstler die Früchte des großen Sieges des Proletariates genießen könnten. „Die klare und tiefe revolutionäre Einstellung“ der Bauernmalerei von Huxian als Waffe für die Kritik an Lin Biao und Konfuzius – mit welcher in Wirklichkeit Ministerpräsident Zhou Enlai angegriffen wurde – erfährt ebenso ihre Würdigung wie die Bedeutung des Schaffens der Künstler von Huxian für die ideologische Erziehung – nicht zuletzt im Sinne der Parolen Mao Zedongs „Kämpft gegen die Feinde“ und „grabt tiefe Tunnels und legt Getreidevorräte an“.

Detailliertere Eindrücke vermitteln die Selbstbiographien der Bauernmaler, welche den Bildern angeschlossen sind. Brigadeparteisekretär Liu Zhide beschreibt, wie er nach seinem Beitritt zur Partei unter Verwendung der revolutionären Kunsttheorie den Pinsel als Waffe benutzt, um mit der Propaganda gut zusammenzuarbeiten. Einerseits schildere er das freudige Familienleben der armen und unteren Mittelbauern und andererseits kämpfe er gegen die Verbrechen der Gutsbesitzer und für den Klassenkampf und den Kampf der richtigen gegen die falsche Parteilinie. Mit Erschrecken habe er auf dem Markt in seiner Nachbarschaft Truhen festgestellt, welche mit Glückssymbolen bemalt seien. Um diesem Mist entgegenzutreten, bemale er selbst nun Truhen mit revolutionären Motiven und habe sich dabei den Beifall der Massen sichern können.

Kriegerich gibt sich auch Li Fanglan, die Leiterin des Baumwollteams einer Brigade aus der selben Gegend. Von revolutionärem Mut beseelt lerne sie Malen und halte sich dabei an die Anweisung Mao Zedongs „Das Kriegführen durch den Krieg erlernen“. Das einfach Brigademitglied Du Zhilian versichert in seinem biographischen Beitrag, ohne die Partei und den Vorsitzenden Mao könne er keinen Pinsel führen. 1962, als Tschiangkaischek seine Eroberungspläne enthüllte, habe es im Dorf einen Gutsbesitzer gegeben, der sein Tor mit „abergläubischen“ Bildern geschmückt habe – etwa mit dem Geistervertreiber Zhong Kui oder dem legendären Qilin („Einhorn“), das Kinder bringt. Wenn er solcher Bilder ansichtig geworden sei, habe er es immer gleich der Partei gemeldet. Der Parteisekretär habe ihm gesagt, dies sei keine unbedeutende Angelegenheit, er müsse mit seinem Pinsel die armen und unteren Mittelklassebauern verteidigen. Davon beflügelt habe er Bilder wie „Die Volkskommune ist gut“ geschaffen und sie als Gegenmaßnahme gegenüber dem Hause des Gutsbesitzers an die Türen der armen Bauern geheftet.

Zu solchen Beweggründen und daraus resultierenden Themen befindet sich in offensichtlichem Gegensatz, was aus Huxian 1989 in den Pekinger Sammelband „Das Beste aus der modernen chinesischen Volksmalerei“ aufgenommen worden ist. Die Titel der Bilder sind: „Glück und Überfluss“, „Kaninchen“, „Eine reiche Ernte feiern“, „Der Blumen- und Früchteberg“ (Heim des legendären Affenkönigs – Anm. d. Verf.), „Rivalen in der Liebe“ (Kämpfende Büffel – Anm. d. Verf.), „Hühner und Hasen“ sowie „Getreide trocknen“. Gewiss, auch heute lassen Bilder aus Huxian Orientierung an der durchgesetzten Parteilinie erkennen. Das wird ihnen auch von dem 1987 vom Kunstvolksverlag herausgegebenen Band „Die Bauernmalerei von Huxian“ bescheinigt: Während der Kulturrevolution habe man die Maler von Huxian für politische Funktionen und als Instrument der Kritik an anderen Künstlern missbraucht. Sie seien nunmehr das Linksabweichlertum losgeworden und hätten während der letzten Jahre die neuen Verhältnisse und die Öffnungspolitik auf dem Lande zu ihrem Thema gemacht.

Wenn sich auch etliche Bilder aus Huxian besonders gut in das heute abgesegnete Konzept ländlicher Entwicklungspolitik fügen lassen, so bestehen selbst bei diesen Motiven, die häufig, aber nicht dominierend sind, im Vergleich zur Zeit der Kulturrevolution wesentliche Unterschiede. Der Wunsch nach Reichtum ist nicht erst seit der neuen Agrarpolitik der KP Chinas eine Zielvorstellung der chinesischen Bauern. Auch der Optimismus ist nicht nur Ausdruck neuer ökonomischer Aufbruchsstimmung, sondern ebenso tief verwurzelter Wesenszug traditioneller bäuerlicher Kunst. Die Volkskunst in China ist seit jeher Tragischem ausgewichen, sondern wollte bewusst Freude spenden. Umso bedrückter waren die chinesischen Bauern, als sie zur Zeit der Kulturrevolution gezwungen waren, Bilder anzufertigen, welche Leid, Hass und Kampf zeigten, was nach Überzeugung der Hausleute Unglück bringen musste. Und nicht zuletzt – im Gegensatz zur Kulturrevolution, als man in Musterbreigaden Bilanzen fälschte, um den politischen Anforderungen zu genügen – ist heute der steigende Wohlstand der Bauern auf dem Lande keine bloße Propaganda, sondern ein Faktum, das daher auch in der Bauernmalerei sichtbar wird.

Die im erwähnten Sammelband veröffentlichten Malereien weisen aber nicht nur bei den Themen, sondern auch bei den Techniken deutliche Unterschiede zu den sechziger und siebziger Jahren auf. „Glück und Überfluss“, „Rivalen der Liebe“ und in gewissem Maß auch „Hühner und Kaninchen“ sind deutlich von der Tradition der chinesischen Neujahrsbilder beeinflusst. Das Bild von der reichen Ernte mit Festzug, Musikanten, Stelzengehern und Feuerwerk fußt zwar nicht so sehr auf den Elementen der Volkskunsttradition, zeigt aber noch viel weniger Bezüge zum früher gepriesenen sozialistischen Realismus. Es ist Beweis dafür, wie ungeniert sich chinesische Bauernmaler heute neue gemäße Ausdrucksmittel suchen.

Die Bilder „Hasen“, „Der Blumen- und Früchteberg“ und „Getreide trocknen“ erinnern an verschiedene Formen der Stickerei inklusive der Applikationsstickerei. Nicht zufällig sind die Schöpfer dieser Bilder Frauen.

Und nicht nur in Huxian sind mit der Rückbesinnung auf die Traditionen der Volkskunst Frauen mit ihren Werken in den Vordergrund getreten.

Vor allem in Jinshan bei Shanghai, welches sich nach dem Ende der Kulturrevolution noch vor dem politisch belasteten Huxian profilieren konnte, waren es Frauen, welche den Grundstein zu späterer Berühmtheit legten. Der Maler Wu Tongzhang, welchem bei der akademischen künstlerischen Ausbildung von Bauern viele Versuche fehlgeschlagen waren, entdeckte bei den Frauen von Jinshan besonders gute Voraussetzungen, um nach den Irrwegen der Kulturrevolution wiederum den Anschluss an die chinesische Volkskunst zu finden. Als Stickerinnen und Papierschneiderinnen verfügten die Frauen einerseits über das ganze tradierte Material an Motiven, andererseits waren sie gewohnt, beim Sticken und Papierschneiden ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Politisch waren die Frauen während der Kampagnen weniger involviert gewesen als die Männer, ihre eigenen weiblichen künstlerischen Tätigkeiten relativ unbehelligt geblieben. Wu ermutigte die Frauen, mit dem Pinsel so ähnlich wie mit der Nadel umzuugehen und der Erfolg blieb werde in Jinshan aus noch in den anderen Gebieten wie Yijun, Provinz Shaanxi und unserem Kreis Xinji, dem ehemaligen Sulu in der Provinz Hebei. In einem 1979 veröffentlichen Artikel stellt der Mentor der Frauenmaler Wu Tongzhang ihre Werke den während der Kulturrevolution in der selben Zeitschrift Chinese Literature vorgestellten Bildern Huxians bewusst gegenüber und erzählt, wie eine seiner Bauernmalerinnen die Nadel mit dem Pinsel vertauscht hat. Als junges Mädchen sei sie wegen ihrer Gewandtheit im Sticken als „Schwester Klugefinger“ bekannt gewesen. Als sie nach der Kulturrevolution als bereits Fünfundvierzigjährige einige ihrer alten Arbeiten aus der Truhe holte und an der Sonne lüftete, sie sie von den anderen ermutigt worden, sich im Malen zu versuchen.

Wieso konnte die von den Kulturrevolutionären hochgejubelte Bauernmalerei unter der neuen Führung gleich wiederum zur Popularität gelangen? Politisch ist die Antwort einfach. In ihrer Besinnung auf die alten Motive schwelgte die Bauernmalerei der achtziger Jahre in Darstellungen von Überfluss und Reichtum. Das war eine kostenlose Werbung für die politischen Reformmaßnahmen unter Deng Xiaoping, welche in der Landwirtschaft wiederum die Einzelverantwortlichkeit der Bauernfamilien herstellten. Aber wie gestaltete sich das Verhältnis zu akademischer Malerei und Kunstkritik? So wie der Barfußarzt dem Schulmediziner, der Barfußingenieur dem Diplomierten, waren die Bauernmaler den volksfernen „schwarzen“ akademischen Malern als Herausforderung gegenübergestellt worden. Doch die erwiesen sich nicht als nachtragend. Sie lobten die Bauernmalerei so wie sie auch die neue ungegängelte Kindermalerei priesen. Dabei waren sie möglicherweise nicht völlig uneigennützig. Den naiven einfachen Landbewohnern konnte man ebenso wenig wie den Kindern finstere Motive bei ihrem Drang nach völliger Gestaltungsfreiheit unterstellen. Man nahm also gerne die Gelegenheit wahr, an Hand dieser harmlosen Beispiele die Notwendigkeit künstlerischer Freiheit zu unterstreichen.

In den Artikeln der Kunstkritiker, welche den Werken der chinesischen Bauernmaler gewidmet sind, kommen immer wieder die selben Termini vor: ehrlich, mit echten Gefühlen, einfach, harmonisch, lebhaft, farbenfroh, mutig und frei von Beschränkungen hinsichtlich der Wahl von Themen und Techniken. Das waren Bedingungen, welche die akademischen Maler auch in den achtziger Jahren für sich noch nicht ganz erreicht hatten und welche sie im Wege über das der Bauernmalerei gespendete Lob forcierten. Unter dem Schlagwort „Malen mit Herz“ schrieb Zhong Ming 1982 in der Kunstzeitschrift „Meishu“, der Erfolg der neuen chinesischen Bauernmalerei bestehe in ihrer Ehrlichkeit und dem Fehlen von Beschränkungen bei der Transponierung ihrer eigenen Gefühle im Wege künstlerischer Ausdrucksmittel auf das Papier. Zhong betonte die Bedeutung der Liebe zur Schönheit für die Malerei und meinte, man könne dadurch grenzenlosen geistigen Reichtum erringen, ein Reichtum, der ihm offensichtlich mehr bedeutet, als die in vielen Bauernmalereien gezeigten Haufen handfester Güter. Wichtig sei die uneingeschränkte Möglichkeit, ein geistiges Königreich zu errichten und darin zu galoppieren. Zhong geriet fast ins Schwärmen, als er schrieb, die Bauernmalerei von Jinshan zeige mit ehrlichen Gefühlen die einfachen, harmonischen Beziehungen der Leute auf dem Lande und damit ein Leben, das so romantisch sei wie Beethovens Pastorale.

Wenn auch hier der Kritiker in seinem Enthusiasmus etwas zu weit ging, so sind seine Bewertungen dennoch im Prinzip zu unterstreichen. Die Bauernmalerei in China hat nach kulturrevolutionärer Entfremdung zu ihren Wurzeln zurück gefunden. Manche dieser Wurzeln gehen auf Umwegen über 2000 Jahre zurück. Ein Beispiel dafür sind die Tigerdarstellungen, welche auf dem Umweg der Tigerstoffpuppen ihren Eingang in die Bauernmalerei gefunden haben. Die Verkürzung und Überzeichnung bei der Darstellung des Tigers wie sie in der chinesischen Volkskunst üblich ist – gedrungener Körper, großer Kopf, großer Bauch, kurze Beine – hat ihre Ursprünge wahrscheinlich in den Steinskulpturen der Han-Dynastie.

Doch nicht nur stilistisch, auch inhaltlich gehen die heutigen chinesischen Bauernmaler dort, wo sie es für angebracht halten, Hand in Hand mit der Tradition. Das bedeutet nicht nur, dass alle während der Kulturrevolution verpönt gewesenen Sagenfiguren ebenso wie die verfehmten Feste wie Neujahr oder Drachenbootfest als Themen wiedergekehrt sind, sondern dass ungeniert auch Bräuche gezeigt werden, für deren Darstellung man während der Kulturrevolution ohne Federlesens zum konterrevolutionären Element gestempelt worden wäre.

Beispiele dafür findet man sogar in dem bereits erwähnten 1989 herausgegebenen Band einer Auswahl moderner chinesischer Volksmalerei: auf Seite 64 das auch in diesem Buch wiedergegebene neujahrsbildartige Gemälde von Wang Guangmeng aus Jinjiang im Süden der Provinz Fujian. Es trägt den Titel „Was mag das Kind am liebsten?“ Als Erklärung haben die Herausgeber hinzugefügt, im südlichen Fujian lege man neben die Knaben zu ihrem ersten Geburtstag Pinsel, Tuschstein, Abakus, Waage, Schere, Lineal und andere Gegenstände. Greife das Kind nach Pinsel und Tusche, so würde es später Beamter. Wolle es lieber das Rechenbrett oder die Waage, so würde aus ihm später ein Kaufmann und Schere und Lineal deuteten auf einen späteren handwerklichen Beruf hin. Die Redaktion hat dabei wohl wiedergegeben, was ihm vom Maler des Bildes mitgeteilt worden ist und war sich nicht bewusst, dass dieser Brauch nicht nur in Fujian, sondern in ganz China verbreitet ist.

Damit ist eine Funktion der heutigen chinesischen Bauernmalerei angesprochen, welche überproportional in den Bildern von Xinji zum Ausdruck kommt, welchen dieses Buch hauptsächlich gewidmet ist: Sie zeigen, welche Bräuche und Traditionen trotz der häufigen politischen Kampagnen auf dem Lande noch lebendig sind und indem sie dies den Betrachtern ins Gedächtnis rufen, tragen sie gleichzeitig zur Erhaltung dieser Bräuche bei. So wie etwa im zitierten Sammelband Wang Tingzhi aus Wuyang in Henan, welcher mit seinem Bild „Der Sechste des sechsten Mondmonats“ daran erinnert, dass nach der Überlieferung an diesem Tag die Ameisen Geburtstag haben und daher ihnen zu Ehren Sesamfladen gebacken werden. Auch bei religiösen Elementen zeigen die Bauernmaler und ihre Herausgeber keine Berührungsängste. Tempelfest in China gleichen unseren Kirtagen. Zu diesen in ihrem Ursprung religiösen Anlässen haben sich mit der Zeit Märkte und Volksbelustigungen hinzugesellt.

Der Kommentar des Sammelbandes zum Bild „Tempelfest“ der Malerin Tian Sannü aus Tijian lautet: „Während der Tempelfeste opfern die Dorfbewohner den Göttern, beteiligen sich an kulturellen Aktivitäten und kaufen an den Marktständen ein.“

Ein Konterrevolutionär würde derlei Einbindungen religiöser Traditionen schockierend finden, wäre aber dann bei Ansicht des ebenfalls im Sammelband enthaltenen und ebenfalls aus Tianjin stammenden Bildes von Qin Chengyu „Das Qilin bringt den Sohn“ vollends entsetzt. Die Bearbeitung des Themas ist modern und geht fast ins Abstrakte über. Hier wird die Nähe der großen Stadt mit ihren künstlerischen Fortbildungsmöglichkeiten spürbar, doch der Inhalt ist uralt und entspricht dem Wunschdenken vieler Generationen chinesischer Bauern: vom Fabeltier Qilin, bei uns auch Einhorn genannten, einen Sohn zu bekommen. Derlei Bilder sind in dem Sammelband aus Huxian aus 1974 heftig kritisiert worden.

Nun wäre es verfehlt, den Eindruck zu erwecken, als wäre die Darstellung von Bräuchen welche man von anderer Warte als abergläubisch, diskriminierend oder unzeitgemäß ansehen könnte, ein Hauptanliegen der heutigen Bauernmalerei. Es entspricht vielmehr der Ehrlichkeit, von welcher in sämtlichen aktuellen Abhandlungen im Zusammenhang mit der Bauernmalerei gesprochen wird, dass die Behandlung von derlei Themen nicht versteckt wird, sondern solche Inhalte als reale Bestandteile des heutigen bäuerlichen Lebens unzensiert den Betrachter erreichen. So wie das 1984 in der Nummer 5 der Zeitschrift Meishu von Kritikern formuliert worden ist. Die moderne Bauernmalerei sei eine Methode, die Gedanken und Gefühle der Bauern zu zeigen, ohne dabei Muster vorzugeben: „Was sie denken, das malen sie!“

Ein guter Teil der von Bauern gewählten Motive wird durch die verschiedenen Anlässe des Jahres- und Lebensfestkalenders bestimmt. In Xinji ist dieser Anteil besonders groß. Andere Bilder schöpfen aus dem Sagen- und Märchengut bäuerlicher Überlieferung und wieder andere zeigen das Alltagsleben im Dorf. Die Bauern hängen am Althergebrachten.

Selbst die Darstellung einer Kinovorführung im Freien, welche auf Seite 77 dieses Buches dem traditionellen Vergnügen des Guckkastenschauens gegenüber gestellt wird, hat die Vorführung der Verfilmung einer der bei den Bauern so beliebten Lokalopern zum Gegenstand. Das heißt aber nicht, dass dem Neuen soweit es Wohlstand bedeutet, in den Bildern nicht entsprechend Raum gewährt wird. Auf Seite 78 kann die Familie mit dem neuen Fernsehgerät bewundert werden und Seite 79 unterstreicht durch die Abbildung des dörflichen Frisiersalons, dass man sich Schönheitspflege auch auf dem Lande leisten kann. Die Rehabilitierung der Lehren des Konfuzius hinsichtlich der Achtung gegenüber Eltern und Großeltern im Rahmen der „sozialistischen Ethik“ kommt der althergebrachten bäuerlichen Gedankenwelt entgegen und findet in den Bildern der Seiten 80 und 81 ihren Niederschlag, welche zeigen, wie die Tochter der Mutter bei der Arbeit hilft oder die Großmutter von der Enkelin umsorgt wird.

Von außen her wird kaum mehr etwas in die Welt der chinesischen Bauernmalerei hinein tragen. Nur dort, wo die politischen Parolen auch der bäuerlichen Lebensauffassung entsprechen, finden sie Eingang. Die politischen Maxime von der Solidarität und Selbstlosigkeit lässt sich in den bäuerlichen Traditionen von Harmonie und guter Nachbarschaft mühelos unterbringen.

Nach der Periode politischer Pervertierung infolge von politischer Umklammerung hat die Bauernmalerei durch politische Förderung im wesentlichen profitiert. Auf lokaler und zentraler Ebene wurden Ausstellungen veranstaltet und Publikationen herausgegeben. Auch in den Kulturaustausch mit dem Ausland fand die Bauernmalerei Aufnahme. Eine Ausstellung, welche 1985 in Schweden und Norwegen gezeigt wurde, bildete 1986 Bestandteil des Internationalen Herbstfestes in Paris. Bestrebungen, den bereits bekannteren Malerdörfern nachzueifern wurden unterstützt und bei Erfolgen vom Staat der Titel „Heimstätte heutiger Volksmalerei“ vergeben. Einige dieser Verleihungen wie etwa an die Kreise Markit und Hami in der autonomen Region Xinjiang oder Huangzhong in der mit Osttibet kulturell und ethnisch verwandten Provinz Qinghai dürften politisch motiviert sein, denn in diesen Fällen fehlen die der chinesischen Bauernmalerei eigenen Merkmale der Volkskunsttradition. So bleiben die aus dem muslimischen Xinjiang stammenden Bilder ohne Eigencharakter und wirken wie Kindermalereien. Die aus Qinghai im Sammelband 1989 veröffentlichten Bilder weisen durchaus stilistischen Eigencharakter auf, doch scheint dieser auf lamaistische Kloster- und nicht auf Volkskunst zurückzugehen. Ansonsten entsprechen die staatliche bestätigten Schwerpunkte durchaus den gewachsenen Traditionen chinesischer Volkskunst, wenn auch die bekannten Regionen in Shaanxi, Zhejiang, Shandong, Hunan, Fujian und Tianjin den Löwenanteil davontragen.

Von diesen „Heimstätten heutiger Volksmalerei“ könnten für die Gesamtentwicklung der bildenden Kunst in China interessante Impulse ausgehen. Als im Oktober 1987 vom Forschungsinstitut für traditionelle chinesische Malerei in Peking ein Symposium abgehalten wurde, wurden sehr widersprüchliche Standpunkte artikuliert. Radikale Kritiker vertraten die Meinung, die chinesische traditionelle Malerei sei nach vielen Generationen der Stilisierung verknöchert und deshalb nicht mehr geeignet, das Leben und die Gedanken der heutigen Welt darzustellen. Die Gegenposition dazu lautete, die jungen Maler vernachlässigten die althergebrachten Techniken und hätten sich über die chinesische Tradition viel zu wenig Wissen angeeignet. In seinem Essay „Eine Bewertung der Innovation in der chinesischen Malerei“ meint der Kunstkritiker Lang Shaojun, die Entwicklung in China während der achtziger Jahre verlange nach einem künstlerischen Pluralismus. Dieser Pluralismus müsse drei Grundbedingungen erfüllen:

  1. Vielfalt in der künstlerischen Betrachtungsweise
  2. Vielfalt von Schulen und Stilen
  3. Vielfalt in Formen und Mitteln

„Kunst“ setzt er hinzu „ist nicht die Magd irgendeiner Theologie oder Paratheologie, sondern eine besondere Form menschlicher Reflexionen“. Die chinesische Malerei nach 1949 sei blass geblieben, weil den Malern zu wenig Freiheit bei den Möglichkeiten des kreativen Denkens und bei der Wahl der Ausdrucksmittel gewährt worden seien. Bei dem Kampf um solche Bedingungen könnte die rotwangige Bauernmalerei ihrer blassen akademischen Schwester zur Seite stehen. Sie hat viel von dem erreicht, was auf akademischem Boden noch gefordert wird, denn sie ist unverdächtiger als die Schulmalerei, deren Adepten bei den Demonstrationen am Platz des Himmlischen Friedens an vorderster Front gestanden sind.

Während man sich an den Malakademien des Landes noch den Kopf zerbricht, wie die traditionelle Malkunst sinnvoll weitergegeben werden könnte, hat die Bauernmalerei die von Lang Shaojun aufgestellten Bedingungen eines künstlerischen Pluralismus schon erfüllt und dadurch der traditionellen Volkskunst in den prallen Bildern der Bauern einen Weg in die Zukunft gebahnt. Die Gefahren für die Bauernmalerei lauern heute weniger in politischer Propaganda und Überwachung als im „Zugrundegehätscheltwerden“ durch wohlmeinende Kulturkader. Zuviel von fachlicher Anleitung, zu viel von offizieller Ermunterung, zu viel zu Schablonenhaftigkeit führende offizielle Auszeichnungen können dieser Kunstgattung ihre Ehrlichkeit und Ursprünglichkeit nehmen und damit jene Grundlage zerstören, welche vom chinesischen Sprichwort so umschrieben wird: „Ein weiser Mann, der alle Dinge gesehen hat, kommt nicht jenem Manne gleich, der ein Ding mit seinen Händen gemacht hat.“

Die zweite Gefahr liegt in der Kommerzialisierung, welche zu fließbandähnlicher Produktion von „Bauernmalerei“ führen könnte, Ansätze dazu hat es in Shaanxi bereits gegeben, wo den ausländischen Besuchern Xi’ans in ihren Hotels um teures Geld serienmäßig gefertigte Stereotypien angeboten werden. Diese Gefahr besteht überall in China. In den Papierschneiderdörfern rund um Chengde zum Beispiel wächst der Wunsch nach direkten Exportmöglichkeiten. Doch man hält die überlieferten Formen für zu armselig, um im Ausland bestehen zu können. Stolz sagte man dem Autor im September 1991, man werde immer größere Papierschnitte von immer größeren Gebäuden Chengdes herstellen – entseelte Zeugnisse einer beginnenden Andenkenindustrie. Nicht zuletzt liegt es auch am ausländischen Besucher, ob er seine Ausländer-Yuan in derlei kunstvoll perforierte „Photographien“ investiert oder nach Formen verlangt, welche die Freude am Werk und die Freude am Schönen an den Betrachter weitergeben.

„Tausend Silberstücke erkaufen kein Lächeln“, sagt das Sprichwort. Bilder, bei denen bloßes Profitdenken Pinsel, Schere oder Nadel geführt hat, lächeln nicht mehr.

Zur Bauernmalerei von Xinji

Der Kreis Xinji liegt in der Provinz Hebei, welche die chinesische Hauptstadt umgibt. Seine Fläche beträgt 951 km², die Bevölkerungszahl 530.000. Wie die meisten anderen „Heimstätten der heutigen Volksmalerei“ kann Xinji im dörflichen Kunsthandwerk auf eine lange und vielfältige Tradition zurückblicken, welche bis in die Ming-Dynastie (1368-1644) zurückreicht. In ihren Bildern haben die Bauernmalerinnen und Maler selbst die Kunstformen vorgestellt, aus denen sie vorwiegend schöpfen. Da ist einmal die Stickerei, welche nach Ende der Kulturrevolution eine ganz besondere Inspiration darstellte, zumal es Frauen waren, welche damals in Xinji und anderen Malzentren zu den wichtigsten Künstlern zählten.

Auf Seite 88 findet sich eine Arbeit von Wang Xiaojun, welche zwei Stickerinnen mit ihren Lieblingsmotiven zeigt. Daran schließen sich Bilder Shi He’s und Liu Xiaohui’s, welche weitere Zweige des Kunsthandwerks zeigen, die zur Charakteristik der Bauernmalerei von Xinji hren Beitrag leisten: das Verfertigen von Scherenschnitten, von Tonfiguren und von bäuerlicher Keramik. Natürlich würden auch die schon vorher im Buch abgebildeten Hersteller von Puppen und Teigfiguren hierher gehören.

Gleich nach der Gründung der VR China dürfte die Bauernmalerei in der Gegend von Xinji eine Domäne der Männer gewesen sein, was allein schon durch die Formate und den damit verbundenen Kraftaufwand schlüssig ist. Wie in Huxian handelt es sich um großflächige Bemalungen von Hauswänden, woran sich tausende beteiligten. Aus einer Mischung von Asche mit Wasser oder mit Tusche wurde ein Rahmen aufgemalt, dessen Innenfläche dann mit Erd- oder Plakatfarben gestaltet wurde. Die Themen wurden zunehmend politisch vorgegeben. Vor allem ging es um das Lob der neuen sozialistischen Einrichtungen. Der Stil war einfach und realistisch. Gelegentlich arbeitete man mit den Mitteln der Überzeichnung und der Karikatur. Fast jedes Dorf in Sulu – so hieß der Kreis Xinji damals – war so ausgeschmückt. Man erachtete die künstlerischen Anstrengungen der Bauern, welche sich auch auf Reimkunst erstreckten, als Bestätigung für die neue sozialistische Förderung der einfachen Menschen innewohnenden Schaffenskraft und Sulu wurde berühmt. Der bekannte chinesische Maler Wu Zuoren kam in den Kreis, um Unterricht zu geben, Zeitungen veröffentlichen Bilder und 1958 brachte der Volkskunstverlag ein Buch über die Wandbilder in Sulu. Der Volkskunstverlag der Provinz Hebei wollte nicht zurückstehen und veröffentlichte 1959 ebenfalls eine Auswahl. Der Titel lautete: „Gedichte wie der Ozean und Bilder wie das Meer im goldenen Sulu“. Dieser zusätzliche Kuss der politischen Muse bescherte den Volkskünstlern viel zusätzliche Schulung und brachte eine starke Annäherung an den akademischen Stil, der damals vom aus der Sowjetunion importierten Sozialistischen Realismus gekennzeichnet war. Wie vom Kulturamt des Kreises heute zugegeben wird, wurden dadurch Themen und Umfang des Schaffens Beschränkungen unterworfen. Die so entstandenen Werke erhielten öffentlichen Beifall. 82 davon wurden in der Nationalen Kunstgalerie in Peking gezeigt und 120 in Zeitungen reproduziert. 1972 veröffentlichte der Volksverlag in Peking unter dem Titel „Ausgewählte Massen-Amateur-Malerei von Sulu“ ein Buch. Verschiedene Delegationen aus anderen Provinzen Chinas kamen nach Sulu, um die dortige Malerei zu studieren, deren Ausdrucksmittel über die üblichen Kategorien der chinesischen Volkskunst hinausreichten und neben der traditionellen Tuschmalerei auch westliche Öl- und Aquarellmalerei umfassten. Das willkürliche Aufpfropfen anderer Techniken begünstigte die Entstehung bastardartiger Produkte, welche nichtsdestoweniger politischen Beifall fanden.

Bei der nationalen Ausstellung chinesischer Bauernmalerei in Peking im Jahr 1983 errangen drei Bilder aus dem im Kreis Xinji gelegenen Wangxia-Dorf Preise. Über 30 junge und alte Frauen hatten sich dort 1981 zu einem Malstudio zusammengeschlossen. Das frühere künstlerisch-politische Engagement der Männer hatte letztlich saure Früchte gebracht. Die Frauen, von denen die älteste über sechzig und die jüngste noch nicht zwanzig war, brachten weniger politische Slogans als Herz und Freude ins Malen ein und verschmolzen ihre eigenen Gefühle und ihre Lebenserfahrungen mit den Volkskunsttraditionen ihrer Gegend. Unter den veränderten Umständen der liberaleren Reformpolitik auf dem Lande kamen ihre Schöpfungen gut an.

1985 wurden in der Kreisstadt von Xinji eine Bauernmalergruppe sowie eine Bauernmalereiakademie ins Leben gerufen. 1000 Maler wurden so organisiert und etliche ihrer Werke wurden 1985 in einer Ausstellung der Kreisstadt gezeigt, welche sogar vom stellvertretenden Präsidenten des Nationalen Volkskongresses Huang Hua besucht wurde. Am 16. Februar 1987 wurde in der Nationalen Kunstgalerie in Peking unter der Patronanz des Kulturministeriums eine Ausstellung von 137 Bildern der Bauernmalerei von Xinji eröffnet. Führende Persönlichkeiten kamen als Besucher und der bekannte Kunstkritiker Wang Zhaowen rühmte die Werke in der Pekinger Volkszeitung unter dem Titel: „Elegance kann auch in der Schlichtheit erblickt werden“. Ende 1987 verlieh das Kulturministerium dem Kreis den Titel „Heimstätte heutiger Volksmalerei“.

Auch das Ausland zeigte Interesse. Nach der Ausstellung in Peking gingen die Bilder nach Hongkong und Amerika. Einige, welche chinesische Bräuche dokumentierten, wurden 1991 in eine vom Wiener Volkskundemuseum gemeinsam mit der Österreichisch-chinesischen Gesellschaft gezeigten Ausstellung aufgenommen.

Das Kulturamt des Kreises sieht das Geheimnis des Erfolges in der starken Volksverbundenheit und dem Lokalkolorit der Bilder. Die Motive finden die Malerinnen und Maler in ihrem täglichen Leben, die Ausdrucksmittel in der Volkskunst. Während des Schaffensprozesses verlasse man sich weder auf Vorlagen noch male man im akademischen Sinne nach der Natur. Diese Angaben konnte der Autor im Mai 1990 überprüfen, als er das vornehmlich für seine Malerinnen bekannte Wangxia-Dorf besuchte und unangemeldet in Bauernhöfen zu Gast war. Die Bäuerinnen arbeiteten nach ihren eigenen Entwürfen. Nur gelegentlich kam ein junger Künstler von der Malakademie oder vom ebenfalls neu gegründeten Forschungsinstitut Xinjis für zeitgenössische Volkskunst vorbei, um mit ihnen über ihre Bilder zu sprechen. Weder im Malstudio noch in den Bauernhöfen war ein Bild festzustellen, das sich schablonenhaft wiederholte. Die Frauen erzählten, sie würden sich wohl gelegentlich Motive voneinander ausborgen, diese jedoch dann auf ihre persönliche Art künstlerisch verarbeiten.

Zu den von den Bauernmalern verwendeten Stilmitteln meint das Kulturamt von Xinji, die Bauern des Kreises lebten in einem durch alte Bräuche geprägten Ambiente. Die Tore der Gehöfte seien mit geschnitzten Blumenmustern, Drachen-, Phönix- und Glückssymbolen, die Fenster mit roten Papierschnitten verziert. Auf der Tür prangten Türgötter, um die bösen Geister abzuschrecken und am Bett fänden sich Tigerpolster. Die Kinder trügen Tigerschuhe und spielten mit handgemachtem Spielzeug. Zu diesen Alltagselementen kämen noch Stoffdrucke und bunte Baumwollwebarbeiten. Unter diesem Einfluss würde die lokale Bauernmalerei „voll“ und „reich“. Wie in der chinesischen Volkskunsttradition male man flach und nicht räumlich, wobei die verwendeten Stilelemente nicht geplant seien, sondern instinktiv in das künstlerische Schaffen einflößen. Dies mögen Kriterien sein, welche auch auf andere „Heimstätten von heutiger Bauernmalerei“ zutreffen können. Doch in der Schilderung lokaler Bräuche ist Xinji einzigartig. Nirgendwo sonst in der chinesischen Bauernmalerei wird Brauchtum so vielfältig, lebendig, originell und unterhaltsam beschrieben. Von der Verehrung des Herdgotts, des Drachengottes über das Hereinbitten des Reichtumsgottes bis zu den uralten Traditionen in Zusammenhang mit Hochzeit und Geburt lassen sich sämtliche Jahres- und Lebensfeste durch die Malerei aus Xinji illustrieren.

Diese Besonderheit hat es möglich gemacht, den Beschreibungen der Feste einheitlich Arbeiten aus dem Kreise als Illustrationen zugrunde zu legen.

Wie aufregend ist es zu sehen, dass der schamanistische Brauch des „Fraisenaustreibers“ in China ebenso noch lebendig ist wie die Sitte, auf den Opfertisch bei der Hochzeit Bogen und Pfeile zu platzieren!

Die Prognose, wie lange diese Kunst, welche eben wieder Lebenskraft geschöpft hat, unverfälscht erhalten bleiben kann, fällt angesichts der Tatsache schwer, dass laut Aussage des Vertreters von Xinji auf einem Seminar über Bauernmalerei das Durchschnittsjahreseinkommen im Kreis etwa 700 Yuan beträgt, was etwas mehr als 1500 österreichischen Schillingen entspricht. In Amerika und Europa wird chinesische Bauernmalerei derzeit schon mit Preisen von mehreren tausend Schilling pro Blatt gehandelt. Und es sind Bilder, die denen aus Xinji an künstlerischem Werte nachstehen. Werden die liebenswürdigen Künder bäuerlichen Lebens in Nordchina unter diesen Umständen den Verlockungen einer flachen aber florierenden Fließbandproduktion ihrer Werke widerstehen können?

Das Bild mit dem Titel „Arme Mutter“ könnte darauf eine Antwort geben. Die Ausländer haben die lokalen gestickten Tigerschuhe bereits gekauft. Die Bäuerin macht keine Anstrengungen, auch noch zum Zug zu kommen. Das Bild zeigt ihren Reichtum: die Liebe zwischen Mutter und Kind. Ihre Gestik ist nicht heischend, sondern gewährend. Sie schenkt den Fremden ihr eigenes Lächeln und das zögernde ihres Kindes.