Geburt und Kindheit

China war und ist in bestimmtem Umfang auch noch heute ein Land, in dem die Männerwelt dominiert. Dennoch befand sich unter den Ahnenbildern, welche in den ersten sechs Tagen nach dem Mondneujahr in der Ehrenhalle aufgehängt wurden, in der Regel auch das Bild von einer Vorfahrin. Man nahm an, dass sich eine Frau besser für die bis dahin kinderlos gebliebenen weiblichen Haushaltsmitglieder einsetzen könnte.

In den chinesischen Städten wäre es vielleicht heute günstiger, sich der Sympathien einer lebendigen Vertreterin des weiblichen Geschlechts, nämlich jener meist schon pensionierten Dame zu versichern, welche in den Straßenkomitees im Rahmen der Geburtenplanung über die Quote wacht, welch ein ihrem Rayon den Einwohnern zum Kinderkriegen zugeteilt worden sind. Zuzug in Wohnblocks mit hohem Altersdurchschnitt lohnt daher, weil dort die Quoten nicht ausgenützt werden. Am Lande, wo die Traditionen stärker und die materiellen Eingriffsmöglichkeiten des Staates zur Missbilligung undisziplinierter ehelicher Fruchtbarkeit geringer sind, ist die Situation eine andere.

Viele der alten Bräuche sind auch heute noch lebendig, wenn sie auch da und dort im Zeichen der neuen Zeit einfacher ausfallen mögen. So etwa ist aus dem Fest des ersten Bades am dritten Tag nach der Geburt, das früher von kompliziertem Zeremoniell und reichen Gaben an die neun Muttergottheiten, an die Schutzgeister Bettmutter und Bettvater und auch an das Kind gekennzeichnet gewesen ist, der bloße Vorgang des erstmaligen Badens geworden – verbunden mit einem Besuch der Hebamme. Die Feier der Vollendung des ersten Monats des Säuglings wird aber in China noch überall begangen. Der Tradition nach darf die Mutter ihr Heim bis zum ersten Monatstag gar nicht verlassen, um sich nicht bösen Geistern auszusetzen. Vor jenen Dämonen, welche ihren Weg ins Haus gefunden haben – meist Touzi Gui, kinderlos verstorbene Frauen, welche gerne Babies entführen – schützen aus Münzen geformte Schwerter, Metallspiegel oder Messer, die an der Bettstatt aufgehängt werden. Willkommen sind hingegen Verwandte und Freunde der Familie, welche die Wöchnerin besuchen und Geschenke mitbringen. Das können Geldkuverts sein, Lebensmittel oder mit Glückssymbolen verzierte Kinderkleidung.

Oft wird auch noch zum Anlass des ersten Monatstages dem Kind ein stilisiertes silbernes Vorhängeschloss, welches mit Glückszeichen verziert ist, um den Hals gebunden. Damit soll das Kind mit der irdischen Welt fest verbunden werden.

Am 13. Tag nach der Geburt wird der Kopf eines Mädchens rasiert und am 29. Tag der eines Knabens. Das Haar wird in ein rotes Tuch gebunden und bis zum 100. Tag am Polster des Babies fixiert. Dann wirft man es in den Fluss oder in einen Teich, um damit vorzusorgen, dass das Kind in seinem späteren Leben mutig und frei von Furcht sein wird.

Wenn das Kind groß genug ist, wird der Familie der Mutter ein gemeinsamer Besuch abgestattet. Der 100. Tag nach der Geburt gibt wiederum zu einem Feste Anlass. Dem Kind wird mit einer Hühnerzunge über den Mund gefahren, damit es gut sprechen lernt und man versucht, durch Orakel bei Knaben Ausschlüsse über ihren künftigen Beruf und bei Mädchen über den Charakter des Bräutigams zu erfahren.

An seinem ersten Geburtstag wird das Kind im Dorftempel, wo sich daoistische und buddhistische Gottheiten bunt mischen, der buddhistischen „Göttin“ Guanyin dargebracht. Die Eltern bedanken sich für die Geburt und das Gedeihen des Kindes und erflehen weiteren Schutz. Oft werden dabei kleine Puppen in Kindergestalt als Opfergaben mitgebracht.

Schon als Kleinkind bekommt der der neue Erdenbürger durch das Geschichtenerzählen Märchen- und Sagengut mit, welches in China seit urdenklichen Zeiten von Generation zu Generation weitergegeben wird, wie etwas die Legende vom Hirten und der Weberin, welche durch die Milchstraße getrennt sind und für die einmal im Jahr die Elstern als Schutzvögel der Eheleute eine Brücke bilden, damit sie sich treffen können. Viele der Kinder auf dem Lande wachsen noch mit der mit Glücks- und Abwehrsymbolen geschmückten traditionellen Kleidung (z.B. Tigerhauben und Tigerschuhen) sowie dem bäuerlichen Spielzeug heran.