Hohe Geburtstage

Nach dem ersten Geburtstag wurde früher in China lange nicht gefeiert. Für Frauen war erst wieder der 40. Geburtstag Anlass für ein Fest, weil der ihren Eintritt in das Matronenalter bedeutete. Alter erhöhte Würde. Bis in unser Jahrhundert hinein betrachteten es Chinesinnen als Kompliment, wenn man ihnen versicherte, sie würden wie achtzig aussehen. Alte Männer wurden bei allen möglichen Problemen um Rat gefragt, wobei die durch das Alter ausgedrückte Lebenserfahrung und weniger die Bildung eine Rolle spielte. Nicht zufällig heißt es im chinesischen Sprichwort: „Drei alte Bauern ersetzen einen Bezirksrichter“. Besonders Kaiser Qianlong, der zu Maria Theresias Zeiten gelebt hat, schenkte privat und öffentlich hohen Geburtstagen große Aufmerksamkeit. An einem Geburtstag seiner Mutter kam er in der Sommerresidenz Jehol auf die Bühne und spielte für sie Lao Lai Zi, einen Mann, über den die konfuzianischen „24 Fälle kindlicher Pietät“ berichten, er habe noch als Siebzigjähriger sein eigenes Alter hintangestellt und habe in Kinderkleidern vor seinen Eltern getanzt, um sie zu ehren und amüsieren. Qian Long verfasst im Jahre 1780 folgenden Erlass:

„So haben wir denn das achtzigste Lebensjahr vollendet und der Enkel unseres Enkels ist schon alt genug für den gelehrten Unterricht … Als der Enkel unseres Enkels geboren wurde, befahlen wir anlässlich dieses großen und seltenen Ereignisses, die Statthalter der Provinzen sollten alle Familien mit 5 lebenden Generationen ermitteln und uns wahrheitsgetreu anzeigen. Wir belohnten diese Familien mit besonderen Geschenken. Da wir früher unserem kaiserlichen Großvater und kaiserlichen Vater dienten, jetzt aber selbst einen Ururenkel besitzen, haben wir volle sieben Generationen gesehen, solches Glück ist noch viel seltener. Wir befehlen hierdurch dem Befehlshaber der acht Banner, zu ermitteln, ob es unter unseren Untertanen solche gibt, die gleich uns ihren Großvater und den Enkel ihres Enkels gesehen haben. Wer zur Genüge beweisen kann, dass es sich so verhält, soll uns gemeldet werden. Wir werden ihn mit reichen Geschenken ehren und uns mit ihm zusammen unseres hohen Alters freuen.“

Bei einem Empfang, den der Kaiser dann gab, wurden 3.000 Greise bewirtet und beschenkt. Die Prinzen inklusive des Kronprinzen warteten ihnen auf. Jeder nahm einen Erinnerungsspruch des Kaisers mit nach Hause, der lautete:

„An die verehrungswürdigen Greise, die zum Fest geladen waren, auf dass sie sich mit mir freuen sollen bei der Erinnerung daran, was ein erhabener Ahnherr einst bei einem ähnlichen Anlass zu tun geruhte.“

Über das Fest berichtete Jesuitenpater Amiot:

„Aus den einzelnen Provinzen wurden 192 Familien genannt, deren Oberhäupter Nachkommen bis ins fünfte Glied hatten. Vier von diesen Familienvätern waren über 100 Jahre alt. Alle gehörten den wohlhabenden Schichten an. Sie erhielten alle die gleichen Geschenke, die vier Hundertjährigen außerdem noch besondere Gaben. Der Kaiser selbst ehrte sie durch Verse, die er mit eigener Hand niederschrieb. Jede Familie erhielt die Erlaubnis, vor ihrem Haus einen Pai zu errichten und die Verse darauf einmeißeln zu lassen.“

„Die Musik spielte, später traten die Schauspieler auf. Jeder trug zwei Masken, eine vorn und eine hinten, damit sie keinen Augenblick dem Kaiser oder seinen Gästen den Rücken zuwandten. Man gab ein Stück, das von den Lebensaltern und dem Lauf der Jahre handelte. Nach der Aufführung sangen die Eunuchen mit ihren durchdringenden Stimmen. Zum Schluss verteilten die Minister und Mandarinen Gaben an die Gäste. Einigen Auserkorenen überreichte der Kaiser selbst ein Geschenk; eine mit Gold und Silber bestickte Börse, ein seidenes Band, einen Stab von wohlriechendem Holz mit Jadesplittern eingelegt und mit der Aufschrift ‚Auf dass Eure Wünsche sich erfüllen‘ oder einen Stab aus Zedernholz mit dem Drachenkopf und dem Schriftzeichen Shou (langes Leben) in Silber eingelegt.“

Hohe Geburtstage werden auch heute noch in den chinesischen Familien feierlich begangen: die vollendeten sechzig, siebzig, achtzig, neunzig und hundert Jahre, aber auch Doppelzahlen wie sechsundsechzig, welche man wegen „Liuliu“ = sechsundsechzig als Gleichklang zu „Liuliu“ = „alles verläuft leicht und glücklich“ als besonders gutes Omen ansieht.

Beliebte Geschenke bei solchen Anlässen sind Kuchen, Obst, Bilder und Stickereien mit Glückssymbolen. In den Städten ist es in letzter Zeit zur Freude der Kinder üblich geworden, nach westlichem Muster jedes Jahr Geburtstag zu feiern. Ob groß oder klein, ob Stadt oder Land, eines ist allen chinesischen Geburtstagsfeiern gemeinsam: das Geburtstagskind isst Nudeln, welche die Länge seines noch bevorstehenden Lebensweges symbolisieren sollen.