Hochzeit

Auch noch in der Zeit der Volksrepublik müssen vor allem auf dem Lande die Frauen davor bewahrt werden, an ungeliebte, ihnen vielleicht schon in den Windeln versprochene Bräutigame verheiratet zu werden. Allerdings gilt auch dort, wo die Entscheidung nicht rechtswidrig eingeschränkt worden ist, dass sich Brautleute bei ihrer Wahl nur zu oft von anderen leiten lassen.

Wie heißt es im Buch der Lieder? „Wenn wir einen Axtstil machen, ist dies ohne andere Axt nicht möglich. Wenn wir daran gehen, eine Frau zu nehmen, kann es nicht ohne Vermittlung geschehen.“ Die Heiratsvermittlung ist noch immer ein gängiger Weg, um zu einem Ehepartner zu kommen, wenn es auch heute nicht mehr die listige Ehervermittlerin ist, sondern Familienangehörige, Freunde, Arbeitskollegen oder sogar Verwaltungs- oder Gewerkschaftsinstitutionen. Nach heute noch durchgesetzter chinesischer Ansicht halten solche gestifteten Ehen länger als die sogenannten Liebesheiraten, wobei die Scheidungsrate in China, wenn auch im Vergleich zu Europa und Amerika eher bescheiden, in ständigem Steigen begriffen ist. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die zunehmende intellektuelle und wirtschaftliche Emanzipation der Frau. Der Aberglauben verbietet es Eheleuten, eine Birne zu teilen, weil „fen li“ = „eine Birne teilen“ gleich ausgesprochen wird wie „fenli“ = „sich trennen“. Eine solche Trennung ist auch schwerer als etwa in Österreich. Auf Scheidungswillige wird von Familie, Freunden, Arbeitskollegen, Gericht und sogar von den Rechtsanwälten ein starker gesellschaftlicher Druck ausgeübt. „Diejenigen, welche einen drängen, beim eigenen Partner zu bleiben, müssen ja nicht mit ihm leben“, erklärte die berühmte chinesische Schriftstellerin und Vorkämpferin für die Rechte der Frau Zhang Jie im Mai 1991 zum Thema, als sie auf einem Wiener Symposium dazu befragt wurde.

Dessen ungeachtet werden in China vor allem auf dem Lande komplizierte Bräuche eingehalten, was garantieren soll, dass die Ehe eine glückliche und dauerhafte wird. So holt der Bräutigam mit geschmücktem Hut und umgebundener roter Glücksschleife an der Spitze eines Brautzuges seine Zukünftige ab. Beim Eintritt des Bräutigams werden vor ihm aus dem Maiskolben fruchtbringende Körner gestreut.

Bevor die Braut ihre Sänfte besteigt, muss diese von Frauen, deren Ehemänner noch leben und die schon Kinder auf die Welt gebracht haben, sorgsam auf böse Geister untersucht werden. Das Gesicht mit einem roten Schleier verhüllt, der später nur vom Bräutigam abgenommen werden darf, besteigt die Braut die Sänfte und wird in feierlicher Prozession begleitet von Musik und dem Krachen von Knallkörpern zum Haus des Bräutigams getragen. Typisch ist beispielsweise das Peitschenfeuerwerk, welches aus vielen kleinen in Kettenreaktion explodierenden Knallern besteht. Dieses wird in die Höhe gehalten oder manchmal auch an Bäumen befestigt.

Den Geistern, welche sich trotz des Getöses mit dem Brautzug in das Gehöft geschlichen haben, wird in Nordchina mit Pfeil und Bogen vom Bräutigam höchstpersönlich der Garaus gemacht. Die Braut wird aufgefordert, vor dem „Himmel- und Erde-Tisch“ ihren Kotau zu machen. Dieser Tisch trägt Symbole für die Götter des Himmels und der Erde, zwei Leuchter, ein Räuchergefäß, zwei Vasen und den schon erwähnten Bogen mit drei Pfeilen. Entweder hier oder später im Schlafzimmer enthüllt der Bräutigam das Gesicht der Braut.

Als Zeichen des nunmehr gemeinsamen Lebens trinken die Brautleute Wein, mischen ihn dann oder trinken aus der Schale des anderen. Dann erfolgen Kotaus vor den Haushaltsgöttern, den Ahnen und den Eltern des Bräutigams. Früher musste die Braut stocksteif mit untergeschlagenen Beinen auf dem Brautbett sitzen. Während sich der Bräutigam absentieren konnte, musste die Braut alle – zum Teil recht anzüglichen – Neckereien der Hochzeitsgäste über sich ergehen lassen. Sogar sprechen durfte sie erst dann, wenn es ihr die Schweigermutter erlaubt hatte. Nicht einmal die Toilette durfte sie aufsuchen. Deshalb fastete sie am Vorabend und trank einen harnhemmenden Gingko-Tee. Erst zur Stunde des Schweines, also um etwa zehn Uhr abends, durfte sie sich erheben. Nach der Hochzeitsnacht opferte sie dem Herdgott Weihrauch und ein Bündel Feuerholz mit dem Zeichen für „Doppeltes Glück“.

Heute wird mit der Braut nicht mehr so streng umgegangen. Aus dem vorwiegend ihr zugedachten Spott sind Neckereien gegenüber beiden Jungvermählten geworden. Am dritten Tag nach der Hochzeit wird ein Besuch bei der Familie der Braut abgestattet.

Selbstverständlich sind – vor allem während der Kulturrevolution – auch auf dem Lande Bestrebungen unternommen worden, die für die Familien oft ruinösen teuren Hochzeitsfeierlichkeiten einfacher zu gestalten. Wie man sich im Extremfall eine solche Hochzeit vorzustellen hat, darüber gibt ein von China Features dem Archiv des Boltzmann Institutes zur Verfügung gestellter Bericht aus dem Jahre 1978 Auskunft:

„Es war eine moderne Feier, so wie viele junge Leute es heute vorziehen. Aber für die Schwiegermutter der jungen Ho, die in der alten Gesellschaft etwas ganz anderes erlebt hatte, war es etwas Neues.

Am Vorabend der Hochzeit luden Braut und Bräutigam jeweils getrennt Freunde und Kollegen z u sich nach Hause ein. Am nächsten Tag holte der Bräutigam zusammen mit einigen Familienangehörigen die Braut ab. Lachend und schwatzend kehrte die ganze Gruppe, die Braut in der Mitte, zur Wohnung des Bräutigams zurück.

Die Wohnstube war frisch geweißt. Drinnen stand eine neue Kommode, selbst hergestellt vom Bräutigam, der Tischler der Produktionsbrigade ist. Auf dem Bett lagen vier neue Baumwollbettdecken mit Seidenbezug. Den Schreibtisch schmückten ein Transistorradio und ein schöner Wecker. Vor der Wohnung stand ein nagelneues Fahrrad. Die Hochzeitszeremonie war ganz einfach. Im alten China musste das Hochzeitspaar zuerst vor den Himmels- und Erdgöttern, dann vor den Ahnentafeln und zuletzt vor den Eltern des Bräutigams niederknien. Aber die junge Ho und der junge Ma verbeugten sich allein vor ihren Eltern. Anschließend aßen alle ein gutes Bauernmahl. Dabei gab es neben reichhaltigen Gerichten als Überbleibsel der alten Bräuche eine große Schüssel Nudeln – Symbol der ewigen Liebe zwischen Mann und Frau. Nach dem Mittagessen ging das junge Paar zum Elternhaus der Braut und verbeugte sich vor den Brauteltern. Am nächsten Tag begann die junge Ho, ihrer Schwiegermutter beim Kochen und Saubermachen zu helfen. Früher hatte sie die Mutter des jungen Ma ‚Tante‘ genannt, nun sagt sie ‚Mutter‘ zu ihr. Nach dem Frühlingsfest ging das junge Paar wieder zur Arbeit. Frühstück und Mittagessen wurden von der Schwiegermutter zubereitet. Sie erzählte der jungen Ho, heute sei das ganz normal, aber in der alten Gesellschaft wäre es kaum vorstellbar gewesen.“

Ein anderer Brauch wird sich vielleicht noch länger halten als die alten Hochzeitszeremonien. Schon bald nach der Eheschließung werden sich die älteren weiblichen Verwandten diskret oder weniger diskret bei der jungen Ehefrau erkundigen, ob sie bereits in anderen Umständen sei und im Falle einer negativen Antwort unverhohlen ihre Enttäuschung ausdrücken. Eine Ehe ohne Nachkommenschaft ist in China auch heute noch ein unnatürlicher Zustand, welcher die Stellung der unfruchtbar Gebliebenen in der Familie angreift. Eine kinderlos gebliebene Frau wird daher trachten, das Kind von nahen Verwandten zu adoptieren – was heute wegen der propagierten Einkindehe allerdings schwer fällt – oder versuchen, von einer Klinik ein Kind zu holen, welches trotz des starken auf eine ledige Mutter ausgeübten sozialen Drucks auf die Welt gekommen ist.