Dr. Jakob Rosenfeld, Mensch und Mythos

Autor: Gerd Kaminski

Analysiert man das so reiche und von wechselvollem Geschick beherrschte Leben Jakob Rosenfelds, so lassen sich allein schon anhand der Fakten verschiedene Profile herauslösen. Zieht man dazu noch die mündliche, schriftliche, politische, museale und filmische Überlieferung heran, so ergibt dies zumindest 7 verschiedene Rosenfelds:

  1. Der historische Rosenfeld,
  2. Der Schutzpatron und „Lokalgott“
  3. Der „Kommunist“ und internationale proletarische Kämpfer
  4. Rosenfeld als subversives Element des Weltkommunismus im Sinne Mc Carthys
  5. Der Filmheld
  6. Rosenfeld als Leitfigur der österreichisch-chinesischen Beziehungen
  7. Rosenfeld als Leitfigur der israelisch-chinesischen Beziehungen
  1. Der historische Rosenfeld

Jakob Rosenfeld stammte aus bürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater war Militärbeamter und begann nach dem Krieg eine Hutmacherei. Seit 1910 lebte die aus Galizien stammende Familie im niederösterreichischen Wöllersdorf. Die Eltern feierten wohl den Sabbath, waren aber nicht streng religiös und kümmerten sich auch nicht sehr darum, ob ihre fünf Kinder religiös aufwuchsen. Die Speisegebote musste man während der schweren Zeit des 1. Weltkrieges aufgeben und hat sie danach nicht erneut beachtet.  „Gott wird damit fertig werden“, meinte die Mutter. Schweinsgulasch und Grammeln sind Lieblingsspeisen der Rosenfeldkinder. In die Synagoge nach Wiener Neustadt geht man anfänglich deshalb nicht, weil es von Wöllersdorf zu weit ist, und man am Sabbath nicht fahren darf. Später unterlässt man es aus Bequemlichkeit. Immerhin wird Jakob im Staatsgymnasium zu Wiener Neustadt zum mosaischen Religionsunterricht angemeldet und besitzt auch ein „Lehrbuch der jüdischen Geschichte und Literatur“, welches die Zeit von der Zerstörung des ersten Tempels bis zur Gegenwart behandelt. Die Zeichnungen des kleinen Jakob, die es enthält, zeugen allerdings von keinem aufmerksamen Schüler.

Jakob bekommt von seinen Eltern, vor allem von der dominanten Mutter, in erster Linie zwei Hinwendungen mit, welche ihn frühzeitig prägen: das soziale Engagement und die Liebe zu Literatur und Musik. Seine Mutter ist die Wohltäterin des ganzen Dorfes, besucht und beschenkt die Kranken und Bedürftigen und gewährt sogar Zigeunerfamilien, die sonst niemand beherbergen will, ein kostenloses Obdach. Mit Jakob singt sie und liest die deutschen Klassiker. Der Vater ist eine angesehene Persönlichkeit im Ort, wenn überhaupt politisch orientiert dann kaisertreu, jedenfalls aber nicht christlich-sozial, was wegen des bei den Christlichsozialen seit Bürgermeister Lueger vorhandenen Antisemitismus kaum verwundern kann. So steht man bei den Rosenfelds trotz des ruthenischen Dienstmädchens und anderer Attribute einer bürgerlichen Familie eher den Sozialdemokraten näher. Nach der Ausrufung der Republik wird Vater Rosenfeld in den Angestelltenrat seiner Kaserne berufen, und auch später ist man mit den sozial Unterprivilegierten in Tuchfühlung. Die Familie beteiligt sich an den sozialdemokratischen Waldfesten und Maifeiern. Die Rosenfeldkinder machen bei Arbeitervereinen mit. Als Medizinstudent und später als junger Arzt in Wien legt Jakob, den seine Geschwister als den „Aristokraten in der Familie“ bezeichnen, auf exquisite Garderobe, gutes Essen sowie häufige Theater- Opern- und Nachlokalbesuche großen Wert. „He could spend money like a drunken sailor „, erinnert sich sein Bruder Adolf. Gleichzeitig zeigt er aber auch Anteilnahme an den Nöten seiner Mitmenschen. Er schenkt demjenigen, der ihm eine Geschichte erzählt, alles, was er in der Tasche hat, behandelt viele Bedürftige umsonst und solidarisiert sich mit sozialdemokratischen Anliegen wie den Kampf um die 48 Stundenwoche, die Krankenversicherung und ein faires Schulsystem. Er liest Antikriegsliteratur und steht den linken Intellektuellen geistig nahe, ohne aber von seinen Vorlieben für Komfort und Schöngeistiges wie Salzburger Festspiele oder Kunstreisen nach Frankreich Abstriche zu machen. Dieser Umstand vermindert den Wert seiner späteren Leistungen nicht, sondern erhöht ihn beträchtlich. Denn es ist ein verwöhnter Mensch, der sich später im KZ, an der Front und in primitiven Hütten unter Einsatz seines Lebens aufopfert und Mühen auf sich nimmt, die er früher nicht einmal geahnt hat.

Der Anschluss bringt Rosenfeld ins KZ, wobei weniger seine offen zur Schau getragene Ablehnung Hitlers, sondern vor allem die Geräumigkeit und gute Lage seiner Wohnung und Praxis ausschlaggebend gewesen sein dürfte. Im KZ manifestiert sich plötzlich ein ganz anderer Jakob Rosenfeld. Er, der physisch immer sehr empfindsam und verwundbar gewesen ist, während seiner Jugend nie raufte oder auch nur Fußball spielte, wächst plötzlich über sich hinaus und beweist einen heroischen Humanismus, der schwere körperliche Misshandlungen und Todesgefahr in Kauf nimmt. Dieser Humanismus ist nur durch das Leid seiner Mitmenschen determiniert und bleibt ohne politische Prägung. Mithäftlinge aus der DKP versuchen vergeblich, ihn daran zu hindern, unter Einsatz des eigenen Lebens Gefangenen aus Kreisen des Austrofaschismus oder anderen Nichtkommunisten zu helfen. Sie verspotten ihn daher als „sentimentalen Österreicher“.

Nach der Entlassung aus den KZ wird Jakob Rosenfeld von der Gestapo eine Frist zur Ausreise gesetzt, und er flüchtet nach Shanghai. Seine ärztliche Kunst als Urologe und Gynäkologe bringt ihn dort bald zu einigem Wohlstand. Doch ist sein Gefühl für die Armen und Unterdrückten  auch in der neuen Umgebung nicht erloschen. Daher ist es für Gregory Grzyb, einen Landsmann aus Lemberg, nicht schwer, Rosenfeld für die Anliegen der Neuen 4. Armee zu begeistern. Grzyb ist, unter dem Decknamen Shippe, ein Agent der Komintern, mit Zuständigkeit für internationale Propaganda. Rosenfeld besucht regelmäßig Shippes marxistische Studienzirkel und kommt zum ersten Male systematisch mit marxistischen Schriften enger in Berührung. 1941 kommt Dr. Shen Qishen, „Gesundheitsminister“ der kommunistischen Neuen 4. Armee nach Shanghai und beteiligt sich an den Diskussionen, welche in der Wohnung Shippes in der Bubbling Well Road oder in den ausländischen Kaffeehäusern in der Rue Joffre stattfinden. Das stetige Vordringen der Japaner beunruhigt Rosenfeld. Nie wieder will er von Faschisten geschunden und gedemütigt werden. – Ein weiteres Motiv, das den Entschluss reifen lässt, das Wohlleben in Shanghai aufzugeben. Als Dr. Shen eines Tages mit der Hiobsbotschaft hereinstürmt, Tschiangkaischeks Truppen hätten trotz der bestehenden antijapanischen Koalition einen Teil der Neuen 4. Armee angegriffen und aufgerieben, ist dies der letzte Anstoß zu Rosenfelds Entschluss: er will zur Neuen Vierten. Shens Warnungen vor dem primitiven Leben, das er dort auf sich nehmen muss, schlägt er in den Wind.

Bei den kommunistischen Truppen in Subei reformiert Rosenfeld das Gesundheitswesen, schreibt Lehrbehelfe, gibt Unterricht, skizziert medizinische Instrumente, operiert unermüdlich und leistet erste Hilfe an der Front. Wegen seines so vielfältigen erfolgreichen Einsatzes wird Rosenfeld „Tigerbalsamdoktor“ genannt, weil er so wie die Salbe aus den kleinen Döschen bei den verschiedensten Übeln helfen kann. Der frischgebackene Militär befreundet sich rasch mit Liu Shaoqi, dem Politkommissar und Chen Yi, dem Kommandanten der Neuen Vierten Armee. Er beginnt ihre Biographien und die anderer kommunistischer Militärs zu schreiben, eine Tätigkeit, die er bis 1949 fortsetzt.

Das Beispiel, welches seine neuen Freunde ihren Soldaten geben, ihre politischen Erläuterungen und nicht zuletzt seine durch die Ausstoßung aus der Heimat ausgelöste Identitätskrise führen dazu, dass er 1942 um die Parteimitgliedschaft einkommt. Chen Yi ist sein Bürge und sorgt dafür, dass Rosenfeld als „Ehrenmitglied“ aufgenommen wird. Leider sind seine Aufzeichnungen seit seinem Tod verschollen.

Die Nierenkrankheit Marschall Luo Ronghuans von der Shandonger 8. Feldarmee bringt Rosenfeld von 1943 bis 1945 nach Shandong. Er rettet nicht nur dem Kommandanten das Leben, sondern tausenden und abertausenden Soldaten und Zivilisten, welche er im Bomben- und Kugelhagel operiert und behandelt. Nach dem Sieg gegen Japan gehen die Shandong Truppen der 8. Feldarmee in die Mandschurei, um die Auseinandersetzung mit Tschiangkaischek aufzunehmen. Rosenfeld verweigert sich auch diesmal nicht. Doch als Luo Ronghuan 1946 nach Moskau fährt, um an der Niere operiert zu werden, möchte Rosenfeld mit, um von dort nach Österreich zu gehen und seine Familie wiederzusehen. Die Sowjetunion verweigert ihm das Visum, und so kämpft er weiter bis zum Sieg über die Guomindang Armeen. 1947 steigt er bis zum Gesundheitsminister einer Armeebrigade auf. Bei der Rettung so vieler Menschenleben schont er die eigene Gesundheit nicht. Als Mao Zedong 1949 die Parade der in Peking einmarschierenden Truppen abnimmt, ist Rosenfeld nicht nur schwer herzkrank, sondern auch einer, für den man angesichts des bereits errungenen Sieges keine so rechten Aufgaben mehr hat. Nun ist der Lebensretter von gestern – noch dazu ein Ausländer – weniger gefragt als linientreue Kader.

Rosenfeld ist immer ein aufopfernd humaner aber nie ein ängstlicher linientreuer Kamerad gewesen. Als er 1942 seinen Antrag auf Parteimitgliedschaft stellt, betont er, wie sehr er seine Kampfgefährten schätze, die Grausamkeiten Stalins aber zutiefst verachte und auch mit dem Leninismus nicht viel im Sinne habe. Mit der Parteidisziplin kommt er später noch einige Male übers Kreuz. Einmal, als er sich erdreistet, vorzuschlagen, Luo Ronghuan müsse von gefangengenommenen japanischen Militärärzten operiert werden, wo doch für das ZK auf der Hand liegt, dies könne nur durch einen sowjetischen Arzt geschehen. Ein anderes Mal, als er vorschlägt die Blutspender für die Fitness Lin Biaos und anderer Mitglieder des Generalstabes vorsichtshalber auf ihren Wassermann zu untersuchen. Worauf sich herausstellt, dass die Mehrzahl davon Luetiker sind. Der Dienstweg hat ihn stets kalt gelassen, wenn es ihm darum ging, für seine Verwundeten etwas zu tun. Vor seiner Abreise nach Österreich im Jahre 1949 äußert Rosenfeld nicht zufällig die Besorgnis, ob man nun nach dem Sieg den Elan und Enthusiasmus der Kampfgemeinschaft früherer Tage angesichts eines da und dort heraufdämmernden Bonzentums erhalten könne. Seine Kameraden warnen ihn andererseits, dass es ihm schwerfallen könnte, in Österreich wieder Fuß zu fassen. Sie sollen recht behalten. Die KPÖ wird von aus Moskau Heimgekehrten dominiert und ist an Rosenfeld nicht interessiert. Nicht einmal seine exklusiven Aufzeichnungen über Mitglieder der chinesischen Staats- und Parteiführung werden von den österreichischen KP-Verlagen gedruckt. Bei den nichtkommunistischen Verlagshäusern hat er sowieso keine Chance. Die Nachricht vom Tode seiner über alles geliebten Mutter auf ihrem Wege ins KZ trifft Rosenfeld schwer. Der Aufenthalt in Wöllersdorf ist ihm eine psychische Qual. In Wien gibt es keine Aufgaben für ihn. Bald versucht er mit diplomatischen Vertretungen der VR China in Kontakt zu kommen, um seine Rückkehr vorzubereiten. Doch die reagieren vorsichtig, verhalten sich dem Ehrenparteimitglied gegenüber reserviert. Rosenfeld hat noch einmal eine Heimat verloren. Man lässt ihn warten, lange warten, und so entschließt er sich im Jahre 1951, statt ins geliebte ins gelobte Land zu gehen, nachdem ihm die USA mehrmals die Einreise verweigert hat. Er geht zu seinem Bruder Josef nach Tel Aviv, wo er sich nur schwer mit dessen orthodox religiös geführtem Haushalt abfindet. Er nimmt an einem lokalen Spital einen Posten an und bemüht sich weiter, mit China wieder in Kontakt zu kommen – diesmal über die chinesische Botschaft in der Schweiz. Im Frühjahr 1952 scheint es zu klappen. Von Zürich scheint eine positive Antwort bevorzustehen. Da ereilt Rosenfeld der Herztod. Man beginnt ihn da wie dort zu vergessen. Viele Jahre später fragt ein israelischer Universitätsprofessor den Ex-Wiener Kurt Maimann, die Seele des Vereins der ehemals nach Shanghai Emigrierten: „Sagen Sie, Herr Maimann, kannten Sie einen gewissen Dr. Rosenfeld? Er war nämlich bei mir am Spital, hat immer erzählt, er war General bei den Chinesen, und keiner hat’s ihm geglaubt.“

Vor uns liegt die Biografie eines großen und ungewöhnlichen Menschen, den nebst allem anderen noch etwas auszeichnet: noch nie hat der Autor über einen Menschen gearbeitet, über den – ganz gleich, ob in der Stadt oder im Dorf, ob in Österreich, England, Amerika oder China – ausschließlich Gutes gesprochen worden ist. Was haben die verschiedenen Betrachter aus seinem Leben gemacht?

  1. Der Schutzpatron und „Lokalgott“

Im Junan Kreis Shandongs ist Rosenfeld zweifellos zu einer Art modernem Schutzpatron geworden. Chinesen sind Realisten, und lokale Schutzgötter kommen meist dann zu Ehren, wenn man sich von ihnen etwas verspricht. In zeitgemäßer Anwendung dieser Regel sind der ehemalige Vize-Vorsteher des Junan Kreises Xu Lintian und sein Archivar Zhang Kaiwen vorgegangen, als sie nach Lektüre eines Artikels der Militärhistoriker Feng Caizhang und Liu Baoding 1988 beschlossen, ihren Kreis, wo der österreichische Arzt von allen am längsten gewirkt hatte, zum Rosenfeldkreis zu machen. Für ihr relativ entlegenes Gebiet in Shandong versprachen sie sich davon einiges: eine stärkere Beachtung durch Präfektur und Provinz, ja sogar durch die Zentralbehörden in Peking; eine Internationalisierung  ihres Kreises nicht nur in Richtung des nach Rosenfeld benannten Spitals sondern auch in Bezug auf eine internationale Komponente für die Kreisregierung, was erweiterte Möglichkeiten für Auslandskontakte ergibt und last not least Investitionen aus jenen Ländern, in welchen ein Konnex zu Rosenfeld vorhanden ist. So kommen die beiden bei der Provinzregierung um die Erlaubnis ein, ihr Kreisspital nach Dr. Rosenfeld zu benennen und im Hof eine große Marmorstatue des Dr. Luo Da Bizi, des Dr. Luo mit der langen Nase errichten zu dürfen.

In bescheidenem Ausmaß wurden ihre Erwartungen bis jetzt erfüllt. Durch die am 5. Oktober 1992 in Junan-Stadt anlässlich der Denkmalenthüllung abgehaltenen Rosenfeldfeierlichkeiten wurde die ganze Provinz und sogar Peking auf den Kreis aufmerksam. Er erhielt vergünstigte Kredite für den Bau eines neuen Flügels des Gästehauses, welches während der Feierlichkeiten den chinesischen und österreichischen Ehrengästen zur Beherbergung diente, und das Spital erhielt einiges an moderner Ausstattung. In der Folge wurden von Seite der Österreichisch-Chinesischen Gesellschaft und der Sohmen-China-Stiftung Mitglieder der Kreisregierung nach Österreich eingeladen, eine österreichischer Überseechinese investierte in eine lokale Schuhfabrik, und es entwickelte sich ein moderater Tourismus, welcher den Reisenden Gelegenheit gibt, alte Bräuche von Junan mitzuerleben. Die von der österreichischen Unfallversicherung seinerzeit versprochene Einladung von Ärzten des Spitals zur Weiterbildung in Österreich und größere Investitionen blieben bis jetzt leider aus. Obwohl der Investitionskatalog des Kreises mit dem Foto des Rosenfeldkatalogs auf der Rückseite wirbt.

Neben diesen modernen Schutzpatron Komponenten gibt es aber noch traditionelle. Für China ist es ganz normal, dass Menschen, welche wirklich gelebt haben, nach ihrem Tod um Hilfe angerufen werden. Für eine landesweite Verehrung ist Guan Yu, einst mutiger General zur Zeit der Drei Reiche so ein Beispiel, welcher später zum Gott des Krieges und der Gerechtigkeit erhoben wurde.

Regional in der Provinz Zhejiang wird etwa Hugong Dadi verehrt, verdienstvoller Beamter der Song-Dynastie und heute Mittelpunkt vieler Tempelfeste. Junan beherbergt den Tempel von Tun Tang, einem Magistrat der Ming-Dynastie, welcher gegen die vordringenden Japaner patriotischen Widerstand leistete. Vielleicht ist Rosenfeld die nächste Bezugsperson lokaler Verehrung? Möglich ist das schon, denn die meisten der in China über ihn mit Hilfe der Rosenfeldforscher im Junan-Kreis herausgegebenen Bücher statten ihn schon derzeit mit den notwendigen Attributen aus. So wird sein Vater, der Unteroffizier, hinsichtlich von Ansehen und Bedeutung zumindest in die Nähe von Radetzky gerückt, und sein Sohn wird dafür gerühmt, in Wahrheit zum Chinesen geworden zu sein, was wohl Vorbedingung dafür ist, als Ausländer in China zur Ehre der Altäre zu gelangen: „Wie ein richtiger chinesischer Beamter war Rosenfeld nicht nur in seinem Fach tätig, sondern auch als Dichter, Musiker und Schriftsteller. Er las Tag und Nacht Bücher, um Luo Ronghuan zu helfen. Er erwählte sich Chen Yi als Lehrer, nahm die chinesische Lebensart an und ist – abgesehen von Aussehen und Sprache – total zum Chinesen geworden. Auf dieser Grundlage können dann die weiteren Darstellungen aufbauen, welche davon ausgehen, Rosenfeld sei mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet gewesen. Schon seine bloße Anwesenheit habe Krankheiten in die Flucht gejagt. In dieselbe Richtung geht die Rosenfeld-Ikonographie, welche sich seitdem in Junan-Kreis – aber nicht nur dort – herausgebildet hat. Die fast vier Meter hohe Marmorstatue, gemeißelt von jenem Bildhauer, der auch Heinz Shippes Statue geschaffen hat, war bloß ein Beginn. Auch im Falle Hugong Dadis ist übrigens zuerst eine Statue und nach deren Wundertätigkeit in der Folge ein Tempel errichtet worden. Junan verfügt traditionell über ein reiches Reservoir an Malern. Sie begannen mit Bildern für das Rosenfeldmuseum, welches sich im obersten Stock des neuen Spitalstraktes befindet und wandten sich dann neuen Motiven zu, welche sich nun in ihren Ateliers befinden: Rosenfeld mit verklärtem Gesichtsausdruck umgeben von Pflaumenblüten, Rosenfeld inmitten eines Bergmassivs, das aus idealisierten Gestalten kommunistischer Heroen besteht. Wer weiß, ob nicht heute schon mancher Patient, der im Rosenfeldspital Heilung sucht, zusätzlich den genius loci um Befreiung von seinen Leiden bittet?

  1. Der „Kommunist“ und internationale Kämpfer

Dieses Element wird von einer ganzen Reihe chinesischer Publikationen hervorgehoben, welche aus Rosenfelds Biographie nur das wiedergeben, was dazu passt und außerdem noch einiges dazuerfinden. Das ist von Seite des Autors kein Vorwurf und überdies keine Besonderheit der Volksrepublik. Seit Konfuzius bemühen sich chinesische Geschichtsschreiber darum, historische Begebenheiten so darzustellen, wie sie sich in idealer Weise hätten abspielen sollen. Da fällt die Behauptung, welche in Feng Caizhengs und Li Baodings Buch „Rote medizinische Generäle“ aufgestellt wird, gar nicht weiter aus dem Rahmen: Rosenfeld habe von früher Jugend an die Meisterwerke des Marxismus studiert, sei wegen revolutionärer Aktivitäten von der Wiener Universität entlassen worden und Mitglied der SPÖ, der „späteren kommunistischen Partei Österreichs“ geworden. Auf eine Reihe ähnlicher Blüten habe ich in meinem 1993 veröffentlichten Buch „General Luo genannt Langnase“ bereits verwiesen. Zu den dort angeführten und analysierten chinesischen Publikationen ist erst kürzlich ein Werk dazugekommen, das in der Reihe „Freunde des chinesischen Volkes“ von einem Armeeverlag herausgegeben worden ist. Schon Rosenfelds Foto auf dem Umschlag ist signifikant, denn das Schwarzweißbild wurde handkoloriert. So wie das Coverfoto ist auch Rosenfelds Leben in bester Absicht geschönt worden. Eigentlich sollte das, was er in China geleistet hat, mehr als ausreichend sein, um im chinesisch-kommunistischen Olymp aufgenommen zu werden. Doch den chinesischen Biographen ist an einem Idealbild gelegen. Ihrer Darstellung nach hat Rosenfeld die Kämpfe um den Karl Marx Hof in Wien auf sozialdemokratischer Seite aktiv mitgemacht. Dafür gab es in den Gesprächen des Autors mit Rosenfelds Geschwistern keinen einzigen Hinweis. Doch damit nicht genug. Die Biographen haben ihm für diese fiktive Episode seines Lebens noch eine Frau namens Maria an die Seite gestellt. – Eine weitere „Schönung“, welche den – für die Leistungen Rosenfelds nicht maßgeblichen – Umstand camouflieren soll, dass Rosenfeld sein ganzes Leben lang mit Frauen nichts im Sinne hatte. So wie frühere Autoren ließen es sich auch die Verfasser dieser neuesten chinesischen Biographie Rosenfelds angelegen sein, die Übersiedlung Rosenfelds nach Israel als kurzen Verwandtenbesuch darzustellen und vor allem auch die ersten Visaverweigerungen für Rosenfeld herunterzuspielen. Fairerweise soll aber dazu angemerkt werden, dass mit dem gleichen Pastellstift, welcher auf Rosenfelds Wangen auf dem Coverfoto ein blühendes Rot gezaubert hat, auch das einst aggressive Image des internationalen Kämpfers neu konturiert worden ist. Von Menschlichkeit ist die Rede, für welche Rosenfeld eingetreten sei. Für die Befreiung der Menschheit habe Rosenfeld gekämpft, eine Wertung, mit welcher der Arzt und Humanist recht einverstanden sein könnte.

  1. Rosenfeld als subversives Element des Weltkommunismus im Sinne Mc Carthys

Die Ära Mc Carthys brachte es mit sich, dass die Sympathien, welche in den USA bis dahin für die chinesischen Kommunisten vorhanden waren, plötzlich ausgelöscht worden. General Stilwell und die in China stationierten amerikanischen Diplomaten wussten von den chinesischen Roten Positives zu berichten. Sogar der amerikanische Botschafter in China, John Leighton Stuart hatte dem österreichischen Gesandten Dr. Felix Stumvoll anvertraut, dass er sich von den kommunistischen Kräften eine Wende zum Guten erwarte. Ähnliches hatten vorher die Angehörigen des amerikanischen Verbündungsbüros in Yan’an geäußert, welches gegen den Widerstand Tschiangkaischeks errichtet worden war, um hinter den japanischen Linien abgeschossenen amerikanischen Fliegern logistische Hilfe zu leisten.

Um so einen Piloten hat sich auch Jakob Rosenfeld gekümmert. Es handelt sich um Leutnant Sherohman, der über Shandong getroffen wurde und Verletzungen an den Rippen und Beinen erlitten hat. Rosenfeld behandelt den Amerikaner persönlich und verhilft ihm zu einer raschen Wiederherstellung. Beim Abschied ersucht er ihn einen Brief an seinen Onkel in Brooklyn mitzunehmen, der davon zeugt, dass Rosenfelds Weltbild damals von gefilterten Informationen geprägt ist:

„Shantung, Juli 45

Lieber Onkel Victor, liebe Tante und Kusine!

Nach 4 1/2 Jahren habe ich heute die erste Gelegenheit zu Euch zu schreiben. Lieutenant Sherohman von der amerikanischen Luftarmee in Asien war für kurze Zeit hier und verlässt unser Gebiet heute, um zu seiner Truppe zurückzukehren. Er nimmt diesen Brief freundlicherweise mit. Ich habe Eure Adresse verloren, weiß nur, dass Ihr in Brooklyn seid, aber er wird Euch dort finden.

Im März 1941 bin ich in die Neue 4. Armee (N.4.A) als Arzt eingetreten und wurde später (1943) nach Shantung in die 8. Feldarmee (8. Route Army 8.R.A.) geschickt. Ich bin nun 2 Jahre hier als Chefarzt der Provinz Shantung, soweit diese von unserer Armee besetzt ist. Ich arbeite jetzt schon mehr als 4 Jahre an der Front gegen die japanische Invasion, bin gesund und sehr zufrieden. Die oben erwähnten chinesischen Armeen kämpfen gegen die japanische faschistische Invasion und für eine neue Demokratie in China. Genauere Details kannst Du in einem Buch finden, welches überall in Amerika erhältlich ist. Der Titel dieses Buches ist: The New Democracy by Mao-Tse-tung……………

Ich sende Dir einige Fotos, sie sind nicht sehr gut, aber Du kannst mich doch in Uniform, in Zivilkleidung, allein und mit chinesischen Kameraden, auch mit Lieutnant Sherohman von der amerikanischen Luftarmee sehen. Vielleicht hast Du auch irgendwelche Zeitungsartikel gelesen, die ich nach San Francisco geschickt habe: Sie wurden in den amerikanischen Zeitungen unter meinem Namen (Dr. Jak Rosenfeld, Chefarzt der 8.R.A.) in Shandong veröffentlicht. Das Leben hier ist hart, aber interessant. Ich bin so glücklich, dass der Faschismus in Europa besiegt wurde und hoffe, dass Japan bald dasselbe Schicksal haben wird. Immerhin müssen wir noch für ein Jahr auf schwere Kämpfe rechnen. Unsere Armee hat sehr freundliche Beziehungen zu Amerika. In Yenan ist eine offizielle amerikanische militärische Kommission, und wir hoffen, dass wir in Kooperation mit den amerikanischen Armeen im Jahre 1946 einen vollen Sieg erringen werden.“

Diesen Brief hat vor dem Onkel in Brooklyn natürlich der militärische Geheimdienst gelesen, und so kommt es, dass Rosenfelds Fürsorge gegenüber dem amerikanischen Flieger keinen Dank, sondern künftige mehrmalige Verweigerungen des amerikanischen Einreisevisums mit sich bringt. Rosenfeld, der noch Mitte der vierziger Jahre der Meinung gewesen ist, die Revolution werde sich unter der Führung der Sowjetunion in ganz Europa wie eine Lawine ausbreiten, macht einige Jahre später unter dem Eindruck diversifizierterer Informationen – auch von seiner amerikanischen Verwandtschaft und dem, was er in Österreich an Verhaltensweisen der sowjetischen Besatzungsmacht feststellen kann, von seinen ehemaligen Überzeugungen große Abstriche. Doch das nützt nichts mehr. In den Augen der amerikanischen Behörden ist er ein so bedrohliches subversives Element, dass Washington bis heute Margaret Frija, der in Miami ansässigen Nichte Rosenfelds, jeglichen Einblick in den umfangreichen Rosenfeld Akt verweigert.

  1. Der Filmheld

Die Berichte über die Rosenfeldfeiern und der Umstand, dass im antifaschistischen Jubiläumsjahr für einschlägige Filme Mittel zur Verfügung standen, haben zu Versuchen geführt, über Rosenfeld Spielfilme zu drehen. Die chinesische Version des 1993 vom ORF gedrehten Dokumentarfilmes über den Arzt, welcher gemeinsam mit dem Shandong Fernsehen entstand, ist in China nie ausgestrahlt worden. Vielleicht, weil die herbe Kritik, welche Rosenfelds Freund Dr. Shen Qishen, später stv. Präsident der chinesischen medizinischen Akademie der Wissenschaften, welche er im Film geäußert hat, etwas zu hart an der Realität orientiert war. Shen hatte nicht nur an falschen Legendenbildungen über Rosenfeld gekratzt, sondern auch alten Genossen den Vorwurf gemacht, Rosenfeld bei seinem Wunsch nach Rückkehr im Stich gelassen zu haben.

Solche unerwünschten Details spielen beim ersten Skript, das in den Filmstudios von Xi’an über Rosenfeld entstanden ist, keine Rolle. Es steht unter dem Motto: „Ein Beitrag zum antijapanischen Krieg des chinesischen Volkes und zum fünfzigsten Jahrestag des Sieges der Welt im Kampf gegen den Faschismus.“

Daraus eine Passage:

Provisorisches Lazarett im Kampfgebiet. Immer neue Verwundete werden hereingetragen. Die behandelten Verletzten werden einer nach dem anderen hinausgetragen. Geschäftige Atmosphäre eines Lazaretts im Kampfgebiet. Plötzlich setzt sich ein Verletzter von seiner Trage auf und schreit die Ärzte und Schwestern an. Rosenfeld hat gerade einen Verwundeten versorgt und kommt herbei und fragt: ‚Was ist los?‘ Die Schwester sagt:‘ Dieser japanische Verwundete verweigert die Behandlung.‘ Rosenfeld sieht ihn scharf an. Der japanische Verwundete schreit laut. Rosenfeld: ‚Was sagt er?‘ Schwester: ‚ Bushido – er will Harakiri begehen und beschimpft die Leute grob.‘ Rosenfelds zornige Augen. Der japanische Verwundete schimpft noch immer. Rosenfeld: ‚Sagt ihm, das Schwert in seiner Hand kann er nicht wieder haben. Wenn er will, habe ich hier ein Skalpell.‘ Und er wirft ihm das Skalpell hin. Im Gehen dreht er sich um und fügt hinzu: ‚ Wenn du eurem Kaiser die Treue zeigen willst, dann geh bitte nach draußen, es ist nicht erlaubt, unser Lazarett zu verunreinigen.“

Im Filmmanuskript wird dann ausgerechnet Rosenfeld durch Chen Yi, dem späteren Marschall und Außenminister darüber belehrt, dass es darum gehe, den Hitlerfaschismus und den japanischen Imperialismus zu vernichten „aber nicht einzelne Soldaten, die getäuscht worden sind, besonders wenn sie die Waffen fallengelassen haben.“

Die im Filmmanuskript gewählte Darstellung des Verhältnisses Rosenfelds zu seinen chinesischen militärischen Vorgesetzten erinnert an die Einschätzung des amerikanischen Militärberaters Ward durch die chinesische Führung im Jahre 1862, als dieser chinesischer Untertan werden wollte: „Es scheint nicht angebracht, die Aufrichtigkeit seiner von ganzem Herzen gewünschten Zuwendung zur Zivilisation zurückzuweisen.“ Nach mehr als 100 Jahren sollte allerdings die Erkenntnis herangereift sein, dass es im Verhältnis von Chinesen und Ausländern nicht regelmäßig um die „Läuterung“ letzterer durch ihnen moralisch überlegene chinesische Persönlichkeiten geht, sondern dass der Humanismus Dr. Rosenfelds bereits außerhalb Chinas zum Teil seines Wesens geworden ist. Das Zurückgreifen auf Originalquellen könnte in diesem Zusammenhang hilfreich sein.

Das gilt einmal mehr auch für die unvermeidlichen Frauengeschichten, mit denen der Skriptautor Rosenfeld posthum in Verbindung bringt. Eine österreichische Partnerin wird ins und aus dem Leben gerufen, worauf die neue chinesische Freundin, eine Sängerin der Armee, den umwerfenden Satz spricht: „Im Westen ist die eine Sonne untergegangen, und im Osten geht eine neue wieder auf.“

Nachdem der Verfasser in Xi’an gegen derlei grobe Veränderungen von Rosenfelds Biographie heftig protestiert hatte, wurde er in einer zweiten Version des Skripts mit seinem eigenen Opus „Von Österreichern und Chinesen“ und dem darin enthaltenen Emigrationskapitel konfrontiert. Vielleicht unter dem Gesichtspunkt, er würde an seinem eigenen Text nichts aussetzen können, schrieb der chinesische Autor große Teile des Emigrationskapitels ab und hängte Rosenfeld die Biographie des dort geschilderten Wiener Zahnarztes Dr. Leo Kandel um.

Mittlerweilen war zu hören, dass das Fernsehen von Henan, einer Provinz, welche sich in letzter Zeit mit ihren für die Jugend bestimmten Büchern über die Kriegszeit einen Namen gemacht hat, eine vielteilige TV-Serie über Rosenfeld plant. Es ist Rosenfeld zu wünschen, dass sich die Textautoren etwas mehr an die historischen Fakten halten werden, welche für sich allein genug spannenden Stoff liefern.

  1. Rosenfeld als Leitfigur der österreichisch-chinesischen Beziehungen

Die positive Aura, welche Rosenfeld umgibt, hat die Autoren Kaminski – Unterrieder in den siebziger Jahren veranlasst, in ihrem Werk über die Geschichte der österreichisch-chinesischen Beziehungen ihm ein größeres Kapitel zu widmen. Dieses Kapitel wurde in die bei Shijie Zhishi verlegte chinesische Ausgabe übernommen. In Österreich und in China zog dies ein Presseecho nach sich und förderte chinesische Anstrengungen, das Gedächtnis an den österreichischen Arzt wieder wachzurufen. 1992 teilte die chinesische Botschaft in Wien dem Verfasser mit, dass der Junan Kreis in Shandong größere Feierlichkeiten anlässlich von Denkmalenthüllung und Spitalsbenennung plane und sich über die Teilnahme offizieller österreichischer Repräsentanten und Verwandten Dr. Rosenfelds freuen würde. Beeindruckt von der chinesischen Pietät und Treue gegenüber einem Österreicher, welcher Junan immerhin schon 1945 verlassen hatte, setzte der Verfasser seinen Ehrgeiz daran, diese Geste aus China von österreichischer Seite würdig erwidern zu lassen. Mit dem Hinweis auf die Bedeutung Rosenfelds als Arzt und Humanist gelang es ihm eine Delegation der Österreichisch-Chinesischen Gesellschaft zusammenzustellen, deren Zusammensetzung alle wichtigen österreichischen Instanzen widerspiegelte und für die Politiker des Junan-Kreises, die sich für das Rosenfeldgedenken stark gemacht hatten, eine Genugtuung war. Zwei stellvertretende Bundesratspräsidenten, der Gesundheitsminister, der österreichische Botschafter, der Reeder und Ehrenpräsident der Österreichisch-Chinesischen Gesellschaft Dr. Helmut Sohmen mit seiner Frau Ann Bao (Tochter des Milliardärs Sir Bao Yugang), ein General des Bundesheeres und Vertreter der österreichischen Überseechinesen wohnten dem Ereignis bei. Eine ansehnliche Reihe von Partei- und Staatsführern, darunter auch Gu Mu, ein ehemaliger Rosenfeldpatient, sandten Widmungskalligraphien. Als erste österreichische Delegation wurde die der ÖGCF vom chinesischen Staatspräsidenten empfangen, der im Namen Chinas seinen Dank für das Wirken des österreichischen Arztes aussprach.

Von da ab wurde es um Rosenfeld nicht mehr still. Wegen des kalten Winters in Shandong hatte man die Feiern zum 90. Geburtstag Rosenfelds in den Oktober vorverlegt. Zum eigentlichen Datum 11. Januar 1993 fand in Peking in der ehemaligen Kapelle der italienischen Gesandtschaft, heute Festsaal der Gesellschaft des chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland eine Teaparty zum Gedenken an Jakob Rosenfeld statt. Die Veranstaltung in Junan hatte durch die Zurückgekehrten und die Berichte des mitreisenden Journalisten Kurt Seinitz von der Kronenzeitung in Österreich ein positives Echo, und so war es für den Verfasser nicht schwer, angefangen von Bundespräsident Dr. Klestil, Parlamentspräsident Dr. Fischer und Außenminister Dr. Mock von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Grußbotschaften zu erhalten. Weitere Verfasser von Briefen waren der Gesundheits- und der Verteidigungsminister. Die Briefe der drei Erstgenannten hatten folgenden Wortlaut:

Wien, am 4. Januar 1993

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

Die Enthüllung des Denkmals für Dr. Jakob Rosenfeld im Oktober des Jahres 1992 an der Stätte seines ehemaligen Wirkens im Junan-Kreis hat gezeigt, daß die großen humanitären Leistungen dieses Pioniers der österreichisch-chinesischen Beziehungen im Gedächtnis des chinesischen Volkes lebendig geblieben sind. Es freut mich daher, zu hören, daß anläßlich des 90. Geburtstages von Dr. Rosenfeld am 11. Januar unter der Federführung Ihrer Gesellschaft eine Gedenkfeier stattfinden wird, an der auch hohe Vertreter der chinesischen Staatsführung teilnehmen werden.

 

Ich weiß diese Bemühungen, um das Gedenken an diesen großen Österreicher sehr zu schätzen. Auch Österreich hat seinen bedeutenden Sohn nicht vergessen. So werden für 1993 in unserem Land eine Ausstellung, ein Fernsehfilm, die Herausgabe eines Buches über Dr. Rosenfeld und die Benennung des neuen Unfallkrankenhauses in Graz nach diesem hervorragenden Arzt und Humanisten vorbereitet.

 

Ich bin überzeugt, daß diese Aktivitäten einen wichtigen Beitrag zur weiteren Entwicklung und Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und China darstellen werden und wünsche Ihrer Feier am 11. Januar viel Erfolg.

 

Mit meinen besten Grüßen

Ihr Thoma Klestil

 

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 Wien, 22. 12. 1992

 

Sehr geehrter Herr Präsident!   

 

Ich freue mich sehr, daß anläßlich des 90. Geburtstages des großen Österreichers Dr. Jakob Rosenfeld in Peking eine Gedenkfeier veranstaltet wird. Seine selbstlose Opferbereitschaft im Dienste der Nächstenliebe und sein unerschrockener Einsatz für Recht und Humanität werden auch in seiner Heimat nie vergesssen werden. Dr. Rosenfelds Wirken eignet sich in besonderem Maße für die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und China, Symbol und Leitbild zu sein.

 

Mit den besten Wünschen für das Gelingen der Veranstaltung

Ihr Heinz Fischer

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Wien 5.1.1993

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

Es hat mich sehr beeindruckt, wie sehr das Leben und Wirken des österreichischen Arztes Dr. Jakob Rosenfeld auch nach fast einem halben Jahrhundert im Gedächtnis des chinesischen Volkes lebendig geblieben sind. Der österreichische Botschafter in der VR China, welcher im Oktober 1992 an der Denkmalenthüllung teilgenommen hat, erwähnt in seinem Bericht das über einen Kilometer lange Spalier der Einwohner des Junan-Kreises und alle anderen Details der Aufnahme der österreichischen Ehrengäste, die an Herzlichkeit nicht zu übertreffen war.

 

Daß am 11. Januar, dem Tag des 90. Geburtstages Dr. Rosenfelds, unter der Verantwortlichkeit Ihrer Gesellschaft auf hoher Ebene eine Feier stattfinden und dabei das bereits zweite in China erschienene Buch über diesen bedeutenden Österreicher präsentiert werden wird, freut mich daher besonders. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen mitteilen, daß das österreichische Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten die Herausgabe einer Biographie Dr. Rosenfelds aktiv unterstützt und es in der Zukunft Gelegenheit geben wird, die chinesische Übersetzung dieses Buches in der österreichischen Botschaft zu Peking vorzustellen.

 

Dr. Jakob Rosenfelds selbstloses humanitäres Wirken ist beispielgebend für die Entwicklung und Förderung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Initiative und wünsche der Feier am 11. Januar bestes Gelingen.

 

 Ihr Alois Mock

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Diese Schreiben wurden vom Verfasser im Rahmen der Teaparty, bei der auch Gu Mu und hohe chinesische Militärs anwesend waren, dem Präsidenten der chinesischen Freundschaftsgesellschaft Han Xu überreicht. Renmin Ribao, Guangming Ribao und andere Zeitungen widmeten Rosenfeld ganzseitige illustrierte Artikel.

Im Mai kam der Verfasser mit einem Team des ORF zurück. In Kooperation mit dem Shandong Fernsehen entstand der fünfundfünfzigminütige Dokumentarfilm „Ich war ein chinesischer General“, der in Österreich mehrmals wiederholt, über Sat 3 in ganz Europa und auch in Israel gesehen wurde und für den österreichischen Dokumentarfilmpreis eine Nominierung erhielt. Dieser Film wurde am 29. September 1993 im Stadtsenatssitzungssaal des Wiener Rathauses uraufgeführt. Nicht ohne Protest der FPÖ-Fraktion im Wiener Landtag, welche Rosenfeld in einer Presseaussendung als glühenden Kommunisten und Weltrevolutionär bezeichnete. Am Vortag hatte der Verteidigungsminister Dr. Fasslabend in das Heeresgeschichtliche Museum eingeladen, wo er in der Ruhmeshalle die Ausstellung über Jakob Rosenfeld eröffnete und gleichzeitig das vom Autor zum gleichen Thema verfasste Buch vorstellte. Anwesend waren der chinesische Gesundheitsminister, der chinesische Armeegesundheitsminister, Präsident Han Xu, der Präsident der Politischen Konsultativkonferenz Shandongs, der Präfekt von Linyi und der Kreisvorsteher von Junan. Die Bedeutung, welche dem Ereignis von österreichischer Seite beigemessen wurde, fand darin seinen Ausdruck, dass der österreichische Bundeskanzler Dr. Vranitzky alle chinesischen Ehrengäste und Dr. Sohmen im kleinen Regierungssitzungssaal empfing. Schon im April hatte der österreichische Bundeskanzler bei seinem Staatsbesuch in China auf Anregung des österreichischen Botschafters in Peking in seinen Tischreden auf Rosenfeld Bezug genommen.

Die chinesische Delegation begab sich dann noch weiter nach Graz, wo der Ehrenpräsident der ÖGCF Dr. Helmut Sohmen dem Grazer Unfallkrankenhaus ein großes Relief und eine Büste aus Bronze gestiftet hatte, welche vom Bildhauer des Rosenfelddenkmals im Junan Kreis stammen. Gleichzeitig sollte nach dem Vorschlag des österreichischen Gesundheitsministers das Grazer Unfallkrankenhaus in Rosenfeldspital umbenannt werden. Dagegen erhob sich in der einstigen „Stadt der Bewegung“ in den Lokalzeitungen eine Welle der Empörung, welche unzweifelhaft beschämende antisemitische Elemente enthielt. Dem Gesundheitsminister und der ÖGCF wurde vorgeworfen, den Grazern den liebgewordenen und offenbar anheimelnden Namen „Unfallkrankenhaus“ zu entreißen und durch einen anderen Namen zu ersetzen, den sie nicht wollten. Zu mehr als der Zusatztafel „Partnerspital des Rosenfeldkrankenhauses in Junan“ war auch das betroffene Spital nicht zu überreden. Alles in allem ein beschämendes Schauspiel. Trotzdem konnte derlei Aufstoßen aus unbewältigter Vergangenheit nicht verhindern, dass Rosenfeld auch dort, wo ihn nicht jeder willkommen hieß, seiner Brückenfunktion gerecht wurde. Der Altpräsident des österreichischen Bundesrates Alfred Gerstl, aus einer in Graz alteingesessenen jüdischen Familie stammend, benützt die lokale Gedenkstätte als Programmpunkt und Stätte des good wills für hochrangige chinesische Delegationen – zuletzt für den Parteisekretär der Schwesterprovinz der Steiermark Guizhou, der soeben ins ZK berufen worden ist. Da Gerstl, welcher übrigens Arnold Schwarzeneggers Ziehvater ist, über ausgezeichnete internationale Kontakte nach allen Richtungen verfügt, ist anzunehmen, dass er die Grazer Rosenfelddenkmäler vor einem Dornröschenschlaf bewahren wird.

Auch in den darauffolgenden Jahren blieb Rosenfeld unsichtbarer Gast auf österreichisch-chinesischen Staatsbanketten. Als der chinesische Ministerpräsident Li Peng im Juni 1994 Österreich einen Besuch abstattete, enthielt seine Tischrede folgenden Passus: „Der Wunsch des chinesischen Volkes nach Befreiung hat die Sympathie und Unterstützung des österreichischen Volkes gewonnen. Dr. Rosenfeld war eine jener Persönlichkeiten, welche sich durch ihren Beitrag für die Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem österreichischen Volk ausgezeichnet haben.“ Beim Staatsbesuch Bundespräsident Dr. Klestils im Jahr darauf war Rosenfeld wieder in den Tischreden präsent. Dem Gouverneur der Provinz Shandong schenkte der österreichische Bundespräsident außerdem ein Exemplar der soeben veröffentlichten chinesischen Ausgabe des vom Autor stammenden Buches über Rosenfeld. Dieses Buch war in Peking – wieder einmal bei einer Teaparty der chinesischen Freundschaftsgesellschaft vom österreichischen Verteidigungsminister einem Forum von mehr als hundert Ehrengästen vorgestellt worden.

1996, Fünfundzwanzigjahrjubiläum der österreichisch-chinesischen diplomatischen Beziehungen stand natürlich ebenfalls im Zeichen des Gedenkens an Jakob Rosenfeld. Mit Hilfe des Dokumentationsarchivs des Widerstandes, des Institutes für jüdische Studien von Prof. Pan Guang und des Rosenfeldmuseums in Junan gestalteten das Boltzmann Institut für Chinaforschung und die ÖGCF in Shanghai eine Rosenfeldausstellung, welche am 2. April 1996 gemeinsam mit der Vizebürgermeisterin von Shanghai von drei österreichischen Delegationen gemeinsam eröffnet wurde. Im Historischen Museum der Stadt Shanghai versammelte sich nicht nur eine Delegation der ÖGCF, welcher unter anderem der Bundesratsvizevorsitzende Strutzenberger, der Innenminister Dr. Einem und der Stv. Generalsekretär des österreichischen Außenministeriums angehörten, sondern auch eine Parteidelegation der SPÖ unter dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Kostelka und eine ÖVP Delegation unter Alfred Gerstl. Die Eröffnungsfeierlichkeiten wurden von Österreichs bekanntestem Fernsehjournalisten Dr. Hugo Portisch für den ORF gefilmt.

Seitdem ist in beiden Ländern die Forschung über Dr. Jakob Rosenfeld weitergegangen, wobei auf chinesischer Seite immer wieder der Vergleich mit Dr. Norman Bethune gebracht wird. Dennoch bestehen zwischen beiden Persönlichkeiten erhebliche Unterschiede, welche nicht nur darin zu finden sind, dass Rosenfeld im Vergleich zu Bethune viel länger gedient und einen weit höheren Rang bekleidet hat. Dazu kommt aber, dass Rosenfeld nicht aus engen ideologischen Motiven, sondern über alle Partei- Religions- uns Rassenschranken hinweg allen Menschen geholfen hat, die seinen Beistand benötigten. So kann Österreich in den bilateralen Beziehungen einen Bonus nützen, den sich Kanada wegen Bethunes ideologischem Hintergrund bis jetzt stets versagt hat. Rosenfelds Brückenschläge dienen Wegen nach beiden Richtungen. Und diese Wege werden weiter beschritten werden. In Österreich und China werden 2003 Rosenfelds 100. Geburtstag in besonderer Weise – vielleicht auch durch Sondermarken? – feierlich begangen werden. Vielleicht bietet sich bis dahin noch mehr Forschungsmaterial aus den USA oder auch aus dem Archiv der KPÖ, welches derzeit wegen Übersiedlung angeblich nicht benützbar ist. Jedenfalls wird aber auch in der Zwischenzeit in den Medien beider Staaten Rosenfeld seinen Platz haben. Die letzte derartige Publikation erschien im März 1997 in der Zeitschrift Cultural Dialogue, wo zwischen Beiträgen über Chinas Luftfahrtindustrie, die Grotten in Dunhuang, Fernschulen für Bauern und einem Naturwunder in Tibet ein Artikel über Rosenfeld zu finden ist, welcher mit den Sätzen schließt: „Er war ein nobler Charakter, Das Gedenken an ihn ist auf ewig in den Herzen der Österreicher und Chinesen bewahrt.“

  1. Rosenfeld als Leitfigur der israelisch-chinesischen Beziehungen

Durch Artikel in der Peking Rundschau und anderen in europäischen Fremdsprachen erscheinenden chinesischen Zeitungen und Zeitschriften, internationale Symposien und nicht zuletzt den Film des ORF ist man in der Zwischenzeit auch in Israel auf Rosenfeld als Symbol für die bilateralen Beziehungen aufmerksam geworden. Als Präsident Han Xu im Oktober 1993 zum ersten Mal eine Delegation der Gesellschaft des chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland nach Israel führte, besuchte er gemeinsam mit Vertretern der israelisch-chinesischen Freundschaftsgesellschaft sowie Vertretern der chinesischen und österreichischen Botschaft das Grab Jakob Rosenfelds und legte einen Kranz nieder. Bereits im Juli 1991 brachte „Die Gemeinde“, das Mitteilungsblatt der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, einen Artikel über Rosenfeld, der später im April 1992 von Kurt Maimann in der Aprilnummer des Bulletins der Association of Former Residents of China mit eigenen Kommentaren auszugsweise abgedruckt wurde.

Über die Rosenfeld Ausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum 1993 und das Salzburger Symposium 1996 über Shanghaier Emigration brachte die von Theodor Herzl 1897 gegründete zionistische Neue Welt einige Beiträge. Mittlerweilen bemüht sich der Generalsekretär der Israelitisch-Chinesischen Freundschaftsgesellschaft, der Rechtsanwalt Dr. Friedmann, um die Übernahme der österreichischen Rosenfeldausstellung in ein israelisches Museum. Die Verhandlungen darüber ziehen sich allerdings in die Länge. Vielleicht weil das „genuine link“ für einen Bezug Rosenfelds zu Israel manchen fehlt. Dennoch hält Rosenfelds Grab am Kiryat Shaul Friedhof in Tel Aviv auch in Israel die Erinnerung an diesen großen jüdischen Österreicher wach und es ist durchaus möglich, dass in Zukunft seine Rolle in den israelisch-chinesischen Beziehungen über Kranzniederlegungen hinausgehen wird.

Bei aller Vielschichtigkeit der Möglichkeiten von Betrachtungsweisen gibt es einen Kern von Fakten aus Rosenfelds Biographie, welcher unabhängig von Land, Ideologie, Rasse oder Religion aus jedem Blickwinkel Bestand hat: von den zahllosen Emigranten, welche China während der nationalsozialistischen Zeit aufgenommen hat, zeichnet ihn vor anderen Folgendes aus:

Er war der Ausländer, welcher bei den kommunistischen Truppen den höchsten Dienstrang bekleidet und am längsten gedient hat.

Er hat während seiner fast neunjährigen Tätigkeit zehntausenden von Menschen direkt und indirekt das Leben gerettet. Ihm wurde auf beiden Seiten eine Fülle von Publikationen, Ausstellungen und Filmdokumentationen gewidmet.

Er brachte es wegen seiner alle Grenzen überschreitenden Humanität in China und im Ausland zur Akzeptanz auf allen Ebenen bis hinauf zu den Staatsoberhäuptern, und – was wahrscheinlich noch schwerer zu erreichen ist: obwohl er die Dörfer Junans seit mehr als fünfzig Jahren verlassen hat, ist das Gedenken an ihn bei den Bauern und anderen einfachen Leuten so lebendig wie dazumal.

Fakten, die es wert erscheinen lassen, sich mit seinem Leben auch in Zukunft auseinanderzusetzen.

Quellen:

 Archiv des Ludwig Boltzmann Institutes für Chinaforschung 

Film des Junan Kreisfernsehens über die Rosenfeldaktivitäten, 1992.

Huang, Yao – Zhang Huixin: Die Geschichte von Rosenfeld, Freund des chinesischen Volkes, Hebei Jugendverlag, 1996.

Kaminski, Gerd: General Luo genannt Langnase, Wien, 1993.

Kaminski, Gerd: Zu Dr. Jakob Rosenfeld und einige seiner unveröffentlichten Briefe, in China Report 119/120, 1994.

Liu, Gong: Dr. Rosenfeld Remembered, in Cultural Dialogue Nr.3, 1997.

Nachlass von Dr. Jakob und Dr. Steffi Rosenfeld

ORF Dokumentation 1993: Ich war ein chinesischer General.

Rosenfeldarchiv des Junan Kreises