Gertrude Wagner

Eine Österreicherin als vorbildliche Ehefrau und Mutter in China

Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ist der Stand der österreichischen Polizeiwissenschaft auf der ganzen Welt berühmt und die Regierung von Zhejiang entschließt sich 10 junge Polizeioffiziere zur weiteren Ausbildung nach Wien zu schicken. Diese kommen im Januar 1931 an. Einer davon ist Du Chengrong aus dem Dorf Hucang in der Nähe der Stadt Dongyang. Von der Polizeikaserne, wo er untergebracht ist und Unterricht bekommt geht Du Chengrong oft in den nahen Stadtpark zur Johann Strauß Statue. Dabei kommt er immer wieder am Eislaufplatz vorbei, wo sich die Wiener auf dem Eis tummeln. Du Chengrong nimmt sich vor, es im nächsten Winter selbst zu versuchen und tatsächlich versucht er im Jahre 1932 die ersten Schritte. Die fallen ihm nicht leicht. Immer wieder fällt er hin. Eine junge blonde Schülerin hilft ihm auf und zeigt ihm, wie es geht. Gertrude Wagner interessiert sich für seine Erzählungen über China und sie treffen sich öfter zum Eislaufen bis eine Liebesgeschichte ihren Anfang nimmt. Gertrude erzählt ihren staunenden Mitschülerinnen, sie würde nach China heiraten. 1933 muss Du Chengrong heimkehren. Sie vereinbaren, dass Gertrude ihm folgen und er sie vom Hafen in Shanghai abholen wird. Ihre Eltern sind sehr gegen die Reise in ein so fernes Land und die Ehelichung eines Ausländers. Erst als einer der Lehrer von der Polizeiakademie zu Gertrudes Vater geht und ihm sagt, hätte er eine Tochter, würde er sie ohne Nachdenken Du Chenrong zur Frau geben, willigt der Vater ein. Schweren Herzens setzt die Familie Gertrude im Dezember 1934 in den Zug zur Hafenstadt Triest. Dort geht sie ganz alleine aufs Schiff. In Hucang heiraten sie. Gertrude gelingt es, die Zuneigung der Schwiegereltern zu erringen. Die ersten Jahre sind glückliche Jahre. Du Chengrong ist ein anerkannter Experte der Polizeiwissenschaft und er wird bald nach seiner Hochzeit nach Fuzhou versetzt. Er hat ein gutes Einkommen und verwöhnt seine Frau wie immer er nur kann.

Besonders besorgt zeigt er sich, als Gertrude mit dem ersten Sohn schwanger ist.

Dann beginnt der Krieg gegen Japan. Die Briefe von Mutter und Geschwistern aus Österreich bleiben aus. Die Familie flieht vor den Japanern nach Chongqing. Wie alle anderen Bewohner Chongqings sehnt Gertrude Nebel herbei um vor dem Terror der japanischen Bombenflugzeuge geschützt zu sein. Zu allem müssen sich Du Chengrong und Gertrude um dessen jüngeren Bruder kümmern, welcher für die Kommunistische Partei Untergrundarbeit leistet. Der Bruder ist schwer krank und trotz hingebungsvoller Pflege erliegt er schließlich seiner Lungenkrankheit. Die Familie Du flieht aus Chongqing nach Jiangxi. Mit ihnen der Sohn Alfred und die neugeborene Tochter Elisabeth. Gertrude wird wieder schwanger und bringt Weihua, ein besonders hübsches Mädchen zur Welt. Doch die ständige Flucht vor den Japanern sowie der Nahrungsmangel setzten der Gesundheit des Säuglings zu und führten schließlich nach einem halben Jahr den Tod herbei.

Nach dem Sieg über Japan erhielt Du eine Ruf an die Polizeiakademie in Hangzhou, um Polizeiwissenschaft zu lehren. Gertrude bekommt wieder Post von Mutter und Geschwistern und führt ein glückliches Leben. Da kommt die Niederlage der Guomindangregierung. Du Chenrong will nicht mit nach Taiwan flüchten. Er war ja nur wissenschaftlich tätig, unterrichtete und schrieb Lehrbücher. Sein Posten ist obsolet geworden und so kehrt er in sein heimatliches Dorf zurück.

Dort verleumdet ihn ein Verwandter als Konterrevolutionär und Du kommt für lange Jahre bis 1979 unter die „Aufsicht der Massen“. Das hat die Folge, dass bei jeder Massenbewegung Du Chenrong hervorgeholt und öffentlich kritisiert wird. Während der Kulturrevolution bindet man ihm ein Seil um den Hals und zieht ihn daran durch die Straßen. Wenn andere Dörfer einen Mangel an Konterrevolutionären zum Kritisieren hatten, so wurde Du von Hucang an andere Dörfer „ausgeliehen“. Die Roten Garden verboten Du Chengrong die traditionelle Heilkunst auszuüben, welche er von seinem Vater erlernt hatte. Außerdem untersagten sie ihm mit seiner Frau und den Kindern Deutsch zu sprechen.

Es war eine schwere Zeit für Gertrude. Sie, das Stadtkind musste schwere bäuerliche Arbeit verrichten, hielt die Hühner im Schlafzimmer, damit sie sich nicht mit einer Krankheit ansteckten, nähte Schuhe und Kleider und wusch die Wäsche im Dorfteich. Viele Jahre hungerte sie, um Mann und Kindern etwas Essen zukommen zu lassen. Die Kinder wurden in der Schulde diskriminiert, trotzdem leisteten alle ihren Teil zum Aufbau Chinas. Der Älteste wurde Ingenieur, die zweitälteste Mittelschullehrerin, die nächste Tochter Kindergärtnerin und ein Sohn und eine Tochter arbeiteten in der Landwirtschaft.

Etliche Österreicherinnen und andere Ausländerinnen hatten Chinesen geheiratet doch als es nichts zu essen gab, kehrten fast alle in ihre Heimat zurück. Die Familie Gertrude Wagners und die österreichischen Behörden boten ihr des Öfteren an, sie zu repatriieren, doch Gertrude lehnte mit der Feststellung, sie gehe nicht ohne Mann und Kinder rundweg ab. Sie teilt mit ihrem Mann Freud und Leid. Beim Dammbau, der Dongyang gegen Hochwasser schützen soll, geht sie neben ihm und trägt im schweren Schulterjoch Erde.

Nach der Aufhebung der Aufsicht durch die Massen wird die Situation der Familie etwas besser. Doch da wird bei Du Chengrong Magenkrebs festgestellt. Als der Verfasser von der Existenz Gertrude Wagners und der schweren Krankheit ihres Ehemannes durch die Familie des österreichischen Überseechinesen Lu Jiaxian hört, beeilt er sich nach China zu fahren, um der Familie beizustehen. Gertrude Wagner sieht nach Jahrzehnten wieder einen Europäer und kann ihre Muttersprache sprechen. Bald darauf stirbt Du Chenrong. Der Autor vermittelt der Witwe eine Einladung des Wiener Bürgermeisters. Der lädt sie zum Bleiben ein, doch sie antwortet ihm, dass ihr Platz in China bei ihren Kindern und Enkeln sei. Das österreichische Fernsehen und das Zhejiang TV drehen einen Dokumentarfilm über Frau Wagners Leben, welcher 1995 vom Zentralen chinesischen Fernsehen anlässlich des Staatsbesuches des österreichischen Bundespräsidenten und dann fast von jeder anderen TV Station in China ausgestrahlt wird. Bundespräsident Klestil ist es auch, der ihr für ihr vorbildliches Leben einen österreichischen Orden verleiht.

Frau Wagner bekommt Waschkörbe von Post aus ganz China. Männer und Frauen bewundern und beglückwünschen sie oder schicken ihr sogar stärkende Medikamente. Frauenorganisationen laden sie ein, anlässlich des Frauentages an ihren Feiern teilzunehmen, man ernennt sie zum Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz von Dongyang. In ganz China feiert man sie als vorbildliche Frau und Mutter. Das Buch von Gerd Kaminski: Verheiratet mit China, welches auch auf Chinesisch erschien, bringt ihr eine neue Flut von Zuneigung und Briefen.

Im Januar 2006 starb sie im 90. Lebensjahr.